Nicht geboren, um nachhaltig zu sein – Teil II

Ein wenig Einsicht kommt auf, der Wille bleibt fern

Die massenhafte landwirtschaftliche Überproduktion der 60er und 70er Jahre führte dazu, dass in einer Reform der GAP im Jahr 1984 eine Milchquote eingeführt wurde. Diese beinhaltete, dass Milch den Landwirten nicht mehr bedingungslos für hohe Preise abgekauft wurde – sondern, dass dies nur noch bis zu einer Obergrenze geschah. In den 80er Jahren entstand in der EU zunehmend ein Bewusstsein für ökologische Folgen der intensiven Landwirtschaft. Der einstige EU-Agrarkommissar Sicco Mansholt, der an der Schaffung der GAP maßgeblich beteiligt war, bereute später das Ernährungssystem in die falsche Richtung gelenkt zu haben.
In den 1990er Jahren wurde die Preispolitik mit garantierten Abnahmen weiterhin abgebaut. Mit der Reform von 1992, die vom Agrarkommissar MacSharry in die Wege geleitet wurde, wurden Auszahlungen nun auch an die landwirtschaftliche Fläche gebunden. Umweltgerechte Produktion sollte speziell gefördert werden, war aber praktisch weniger von Bedeutung. Im Grunde genommen beinhaltete die „Reform“ keinerlei Wende, sondern eher eine Anpassung an die fortschreitende Liberalisierung des Welthandels. Einfacher ausgedrückt ging die „Reform“ einher mit einer Zementierung der intensiven Landwirtschaft in einem globalen Ernährungssystem. Auch zählte die EU in Mitte der 90er Jahre schon 15 Mitglieder, sodass die GAP ihre Gelder immer weiter für Flächen als für Produktion ausgeben musste. Die zunehmende Marktpolitik, also, dass die Preise nicht von der Politik, sondern vom freien Markt bestimmt wurden, schuf weitere Anreize dafür, eher auf profitorientierte aber kurzsichtige Produktion zu setzen, anstatt nachhaltig zu produzieren.

Viele Reformen, viele Absichten, wenig Erfolge

Die Häufigkeit von „Reformen“ nahm fortan zu. Die sogenannte Agenda 2000 Reform führte den Begriff „Direktzahlungen“ ein und etablierte die heute bekannte „zweite Säule“, die der Förderung des Tierwohls, des Bio-Anbaus, und weiterem dient. Damals betrug der Bio-Anteil der Fläche mickrige 2-3% in der EU. An Verständnis der Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft und Umwelt mangelte es um die Jahrtausendwende jedenfalls nicht, so lässt die damalige EU-Kommissarin für Umwelt, Ritt Bjerregaard, verlauten: „Die Landwirtschaft ist heute wichtig für unsere Bemühungen, Erfolge in Bereichen wie Wasserqualität, biologische Vielfalt und Klimawandel zu erzielen, und die Landwirte sollten zunehmend dafür bezahlt werden, dass sie die öffentlichen Güter schaffen, die die Steuerzahler erwarten. Die Einbeziehung von Umweltbelangen in die GAP darf nicht nur auf dem Papier stehen. Sie muss sich auch in der Realität widerspiegeln.“ Das Problem lag eher daran, schönen Worten auch weitreichende Taten folgen zu lassen, sowie die Gesellschaft grundlegend zu überzeugen.

Die „Fischler Reform“ im Jahr 2003 beschloss die sogenannte „Cross Compliance“, das waren Mindestbedingungen an Landwirte, um Direktzahlungen überhaupt erhalten durften. Das war im Grunde genommen die Kopplung der Zahlungen an Mindeststandards für Umwelt, Tierwohl und Biodiversität. Das klingt zunächst nach einem Schritt in die richtige Richtung, stellt sich aber später noch als irrelevant heraus. Die nächste Reform nannte sich „GAP-Gesundheitscheck“ (2009), schaffte die Milchquote endgültig ab und brachte eine erneute Aufstockung der zweiten Säule, war aber ansonsten auch nicht maßgeblich.

Um die GAP der nächsten Jahre (bis 2027) zu verstehen, lohnt sich besonders ein Blick in die GAP „Reform“ von 2013, die die EU Agrarpolitik von 2014-2022 bestimmte. Ab 2015 wurden 30% der Direktzahlungen an „Greening“-Maßnahmen gebunden, was über der Cross-Compliance hinaus noch zusätzliche Maßnahmen wie Dauergrünland oder Blühstreifen beinhaltete. Mit dieser Illusion sollte die Fortsetzung der flächengebundenen Direktzahlungen legitimiert werden. Dass die GAP ab dem Jahr 2014 kaum Auswirkungen auf Klima und Biodiversität hatte, bestätigt der Europäische Rechnungshof. Selbst der Strukturwandel ließ sich nicht umkehren.

Während von 2003-2013 ein Viertel der Landwirtschaftsbetriebe die Tätigkeit einstellte, brachte auch diese „Reform“ keine Kehrtwende. Und die zweite Säule, die Nachhaltigkeit fördern soll? Für die zweite Säule des GAP-Haushalts war von 2014-2020 weniger als ein Viertel des vorhandenen Budgets vorgesehen. Die Mitgliedstaaten können die zweite Säule ko-finanzieren, doch sie bestimmen selbst, wohin und wieviel Geld fließt. Nationale Regierungen können die Agrarwende somit einfach ausbremsen. Im Jahr 2019 betrug der Flächenanteil an Öko-Landbau in der EU gerade mal 8.5% – ein Armutszeugnis, wenn man die großen Lippenbekenntnisse der Agenda 2000 mit dem trägen Fortschritt und dem Gutachten des EU-Rechnungshofes vergleicht.

Die Reform, die in den Kinderschuhen stecken geblieben ist

Hier stehen wir jetzt: das Parlament beschließt eine „reformierte“ GAP, die uns angeblich bedeutende Schritte nach vorne bringen soll. Ein Programm, das allerdings jegliche Ambitionen zur Nachhaltigkeit verwässert, ist aus Sicht der Grünen im EU-Parlament reines Greenwashing. Zum Beispiel sind die neuen „Eco-Schemes“ nur eine Umbenennung der wirkungslosen „Greening“-Maßnahmen, die sogar nur noch 25% anstatt 30% beanspruchen. Dieses Programm, unterstützt von den österreichischen und deutschen Ministerinnen Köstinger und Klöckner, bedeutet eine weitere Verfestigung des Status Quo: große Lippenbekenntnisse und große Trägheit bei begrenzter Ambition. Dabei wollte die Kommission eigentlich, dass 25% der Agrarfläche bis 2030 ökologisch bebaut wird – das scheint sich in der GAP nicht widerzuspiegeln. Auch eine Begrenzung der Direktzahlungen, die es seit 1992 gibt, wurden nur freiwillig für nationale Regierungen eingeführt. Nun, da der Rahmen auf europäischer Ebene an Visionen mangelt, gibt es aber noch Hoffnung, dass nationale Regierungen in der Nutzung der GAP-Gelder doch noch weiter einlenken und mehr Bio-Landbau fördern werden. Aufgegeben werden darf aus weiteren Gründen nicht: wichtige Gesetze, die unser Ernährungssystem bestimmen, stehen weiterhin aus und sind nicht direkt Teil der GAP. Das betrifft beispielsweise das Abschaffen der Käfighaltung oder die Einführung von Kennzeichen der Tierhaltung und Nährwertangaben, und eine drastische Reduktion von Pestiziden wie Glyphosat.

Es ist von existentieller Bedeutung, dass wir die Nahrungsmittelproduktion in fit für die heutigen Herausforderungen machen. Das geht nicht, wenn wir Agrarpolitik am Ertrag messen, eine Methode, die letztendlich der verarbeitenden Industrie und Chemiekonzernen zu Gute kommt. Dafür wurde die GAP damals ausgelegt, doch für die Neuausrichtung müssen wir umdenken. Statt wie in den Nachkriegsjahren allein auf die Produktionsmengen zu achten, müssen wir ganzheitlich das Klima zu wahren, Landwirt*innen fair zu entlohnen, und Erzeugnisse gerecht verteilen, um Hunger zu bekämpfen. Denn Erträge haben wir laut der Welternährungsorganisation schon genug, aber die Verteilung ist ungerecht.

Nicht geboren, um nachhaltig zu sein – Teil I

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