Nicht geboren, um nachhaltig zu sein – Teil I

Ein Kommentar zu GAP als „Reform“

Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union gehört zu den wichtigsten finanziellen Mitteln der EU. In ihrer Größe nimmt sie erheblichen Einfluss auf die Landwirtschaft, und damit auch auf Umwelt, Ernährung, und ländliche Struktur. Um sie dem neuen EU-Haushalt bis 2027 anzupassen, wurden die GAP neu verhandelt. Als eine „Reform“ wird sie von jenen bezeichnet, die sie befürworten. Warum aber von Reform kaum eine Rede sein kann, erklärt dieser Beitrag.
Unser Ernährungssystem steht heutzutage an einem wichtigen Scheidepunkt. Jeder zweite Erwachsene ist übergewichtig, schlechte Ernährung trägt immer mehr zu chronischen Krankheiten bei, und hochverarbeitete Lebensmittel füllen die Supermärkte. Über die letzten Jahrzehnte stieg der Konsum an Fleisch, Milchprodukten, Zuckern, Fetten stetig – während frische, unverarbeitete Lebensmittel immer weniger Anteil an unseren Mahlzeiten haben. Gleichzeitig widerspricht unsere Ernährung nicht nur unserer eigenen Gesundheit, sondern auch unserer Umwelt. Der Agrarsektor ist mitverantwortlich für einen Großteil von externen Kosten und verursacht rund 10% der Treibhausgas-Emissionen in der EU. Berücksichtigt man sogar die Emissionen derer Produkte in Drittländern, die nach Europa importiert werden, würde dem Agrarsektor knapp 1/3 der Treibhausgas-Emissionen beigerechnet werden. Die Landwirtschaft befördert außerdem die Verschmutzung des Trinkwassers, der Oberflächengewässer und die anhaltende Auslaugung der Böden. Andererseits: Laut einem Eurobarometer wollen zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger eine nachhaltigere Lebensmittelproduktion in der EU. Wie also konnte es so weit kommen, wo wir doch schon mehrfach von „Reformen“ und „Nachhaltigkeit“ sprachen?

Ihren Ursprung hat die GAP im Jahr 1958, als Deutschland, Frankreich, Italien, und die BENELUX-Staaten die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gründeten. Diese sah vor, 1962 eine gemeinsame Agrarpolitik einzuführen. Der Hintergrund bestand darin, dass die wirtschaftlichen Schäden des zweiten Weltkrieges noch immer nachwirkten und die Landwirtschaft der EWG nicht genug produzierte, um sich selbst zu versorgen. Es wurden damals noch viele Lebensmittel importiert, denn die Preise auf dem Weltmarkt waren teilweise günstiger als „daheim“ in den EWG-Ländern. Die GAP sollte dem Problem damit begegnen, den Landwirten alle Produkte zu einem Festpreis abzukaufen. Außerdem sollte sie den technischen Fortschritt fördern, den Lebensstandard in der Landwirtschaft sichern, und für langfristige Ernährungssicherheit sorgen.

Die damalige Produktion war weit entfernt von heute: landwirtschaftliche Maschinen waren auch über 10 Jahren nach Kriegsende noch nicht weit verbreitet. Das alles änderte sich, als mit der GAP neue Anreize geschaffen wurden. Die Idee war: mehr und effizienter produzieren. So wurden neue synthetische Düngemittel und Pestizide entwickelt und in großen Mengen eingesetzt. Nutztiere wurden so gezüchtet, dass sie stets mehr Fleisch bzw. Milch produzierten. Doch dann lief alles aus den Rudern. Nach 10 Jahren der GAP stellte sich dann in den 1970er Jahren heraus, dass die Agrarpolitik komplett umkippte.

Anstatt auf ein langfristiges aber nachhaltiges Produktionsniveau zu gelangen, entstanden „Butterberge“, „Getreideberge“ und „Milchseen“. Mit Exportsubventionen wurden die überschüssige Ernte, Butter und Milch zu Spottpreisen auf dem Weltmarkt verkauft, um aus diesen geringsten Erlösen immer noch etwas mehr zu verdienen. Die intensive Landwirtschaft – auf Quantität anstatt Qualität ausgerichtet – fing an, nicht nur der europäischen Ernährung und Umwelt zu schaden, sondern auch lokale Märkte und landwirtschaftliche Strukturen im globalen Süden zu zerstören.

Der strukturelle Wandel in Europa wurde von der GAP von Anfang an beschleunigt. Die Zahl der Landwirte sank stetig, die Flächen und Nutztierbestände derjenigen, die im Spiel blieben, wurden immer größer. So ernährte im Jahr 1950 ein Landwirt etwa zehn Menschen, und im Jahr 2013 bis zu 143.

Einflussnahme im Schwergewicht

Es wäre kurzsichtig, die Entwicklungen der GAP nur aus der Perspektive des technologischen Fortschritts zu erklären. Von Anfang an wurde sie von einflussreichen Verbänden begleitet, welche die politischen Strukturen bis heute zementierten. Bereits im Jahr 1958, als die EWG gegründet wurde, gründete sich in Brüssel die „Copa“, eine Lobby-Gruppe für die europäischen Landwirte. Ein Jahr später folgte die Gründung der Gründung der „COGEGA“, quasi der Zusammenschluss nationaler Bauernverbände auf europäischer Ebene. Die beiden Organisationen vereinten sich 1974 zu Copa-Cogeca. Seit Beginn der Agrarpolitik ist Copa-Cogeca einer der größten und aktivsten – aber zugleich auch intransparentesten Organisationen im europäischen Quartier ist. Diese waren es auch, die die Agrarpolitik so beeinflussten, dass es die Subventionen nicht einfach für rohe Erzeugnisse gab, sondern für verarbeitete Produkte. Einerseits brachte dies den Vorteil, dass man somit Butter und erhitzte Magermilch länger aufbewahren konnte als frische Milch – sprich, den Überschuss haltbar zu machen. Andererseits jedoch förderte dieser Ansatz eine Struktur, welche besonders für die verarbeitende Industrie profitabel war und damit die kleineren Produzenten von den größeren Abnehmern abhängig machte. Auch heute verteidigt die Agrar-Lobby noch die auf Masse angelegte Agrarpolitik damit, dass man nur mit Überproduktion die Welt ernähren könne. Wir holen uns vor Augen, dass in Europa heute jeder zweite übergewichtig ist, während 800 Millionen Menschen auf der Erde hungern und zwei Milliarden Menschen mangelernährt sind.

Nicht geboren, um nachhaltig zu sein – Teil II

Lesen Sie die Fortsetzung des Artikels hier! In Teil II geht es um die letzten GAP Reformen.

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