Pestizide

Acht Fragen und Antworten zu Pestiziden

Seit über einem Jahr wird im Europaparlament über die Halbierung des Einsatzes von chemisch-synthetischen Pestiziden in der EU gestritten, wie sie in der Farm-to-Fork-Strategie angekündigt wurde. Was auf dem Spiel steht.

I.
Was versteht man eigentlich unter Pestiziden?

Als Pestizide werden Stoffe bezeichnet, die für unterschiedliche tierische und pflanzliche Organismen giftig sind. Sie sollen Nutzpflanzen vor Pflanzenkrankheiten und Schädlingsbefall schützen. Dazu gehören Herbizide gegen Unkräuter, Insektizide gegen Insekten und Fungizide gegen Pilzbefall. Es macht dabei einen großen Unterschied, ob auf chemisch-synthetische Pestizide vertraut wird oder auf Pestizide natürlichen Ursprungs, die im Biolandbau eingesetzt werden und weniger giftig sind.

II.
Wie viele Pestizide werden in der EU ausgebracht?

Das wissen wir gar nicht so genau und damit fangen die Probleme schon an. Bislang werden nur Daten über die Verkaufstonnagen erfasst. In Österreich wurden im Jahr 2020 zum Beispiel 13.395 Tonnen Pestizide verkauft. Das sagt allein aber noch wenig über die Giftigkeit der Wirkstoffe aus. Wie viele Pestizide tatsächlich auf den Feldern landen, musste bislang nicht aufgezeichnet werden. Genaue Daten werden oft nur durch Zufall veröffentlicht, etwa in der BR-Recherche zu Spritzzahlen im Apfelanbau in Südtirol. Bis zu 50-mal wurde ein Feld hier pro Saison behandelt.

Einen derart detaillierten Einblick bekommen wir sonst nur selten. Das soll sich aber bald ändern: Im Herbst 2022 hat das EU-Parlament für eine ambitionierte Überarbeitung der sogenannten SAIO-Verordnung gestimmt. Das ist ein Statistikgesetz, das in Zukunft vorschreiben wird, ausgebrachte Pestizidmengen genau zu erfassen. Das ist wichtig, denn Ackergifte haben massive Folgen für unsere Umwelt und Gesundheit.

Du weißt schon über Pestizide Bescheid?

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Im Newsblog sind aktuelle Updates zu den Verhandlungen zu finden!

III.
Warum ist der Einsatz von Pestiziden problematisch?

Grundsätzlich gilt: Pestizide wurden zum Töten erfunden und machen deshalb nicht vor Nutzinsekten oder Pflanzen Halt, die entscheidend für das Funktionieren unserer Ökosysteme sind. Durch Herbizide verschwinden Beikräuter, die als Insektenfutter dienen können. Nützlinge wie der Marienkäfer, die Schädlinge auf natürlich Weise bekämpfen würden, sind wegen der vielen Insektizide immer seltener am Feld zu finden. Das schadet am Ende auch den Feldvögeln, die weniger Nahrung finden. Eine Kettenreaktion.

Außerdem belasten Pestizide Grundwasser und Böden: Rund 80 Prozent der Äcker in der EU sind bereits davon betroffen. Das wirkt sich langfristig schädlich auf das Bodenleben aus, das den Acker luftig und fruchtbar macht. Letztlich geht uns das alle was an: In Frankreich sind jetzt schon 20% des Trinkwassers über den Grenzwerten mit Pestiziden belastet. Die Reinigung kostet bis zu 30c pro Liter. Da kommen langfristig Kosten in Milliardenhöhe auf uns zu.

Mehr dazu lest ihr in meinem Beitrag zu Pestizidmythen.

IV.
Sind Pestizide für das Bienensterben verantwortlich?

Mitverantwortlich, ja. Denn neben Monokulturen, die ihnen die Nahrungsgrundlage entziehen, haben die kleinen Helferlein vor allem mit Insektiziden wie Neonicotinoiden zu kämpfen. Ebenfalls hochgiftig für Bienen: Glyphosat, immer noch das am häufigsten eingesetzte Herbizid in der EU.

In Österreich sind bereits 37 heimische Wildbienenarten ausgestorben und rund die Hälfte der verbleibenden 707 in ihrer Existenz gefährdet. Das ist hochproblematisch. Denn 70 der 100 wichtigsten Nutzpflanzen auf der Welt werden laut FAO von Bienen bestäubt.

V.
Was hat das mit uns zu tun?

 

Pestizide sind überall um uns herum. Über Lebensmittel – allein ein Drittel der Früchte in der EU ist belastet – und sogar über die Luft nehmen wir die Wirkstoffe auf. Allein in Wien hat die Universität für Bodenkultur im Vorjahr 17 verschiedene Pestizide gemessen. Im Urin fast aller Deutschen kann Glyphosat nachgewiesen werden. Dass wir diesen Stoffen dauerhaft ausgesetzt sind, hat langfristige Auswirkungen auf unsere Gesundheit.

Wissenschaftliche Studien belegen etwa einen Zusammenhang zwischen Pestiziden und Parkinson oder einem erhöhten Krebsrisiko. Auch der Verlust von Fruchtbarkeit ist ein schleichendes Problem, an dem Pestizide Mitschuld haben. Besonders folgenschwer sind chemische Pflanzenschutzmittel für Bäuerinnen und Bauern: Das Non-Hodgkin-Lymphom wird in Frankreich deshalb sogar als Berufskrankheit von Landwirt*innen eingestuft.

VI.
Was tut sich auf EU-Ebene?

 

Weil das nicht so weitergehen kann, hat die Kommission in der Farm-to-Fork-Strategie für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem festgelegt, dass Einsatz und Risiko von chemisch-synthetischen Pestiziden in der EU bis 2030 halbiert werden soll. Umgesetzt wird das in der neuen Verordnung zum nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, für die ich im EU-Parlament federführend verantwortlich bin.

VII.
Wofür stehe ich?

Ich bin davon überzeugt, dass es JETZT in unserer Verantwortung liegt, den Pestizideinsatz zu reduzieren. Das schulden wir uns selbst und den nachfolgenden Generationen. Die Chemiekeule sollte das allerletzte Mittel sein und hochgefährliche Pestizide (Substitutionskandidaten) haben sowieso schon lange nichts mehr auf unseren Äckern und Tellern verloren. Wichtig ist aber auch, nicht einfach Verbote auszusprechen und Landwirtschaft zu verunmöglichen, sondern gemeinsam an einer nachhaltigen Transformation zu arbeiten. Bäuerinnen und Bauern brauchen Unterstützung, um den Umstieg auf agrarökologische Alternativen zu schaffen. Das ist – neben dem Schutz von Umwelt und Gesundheit – mein dezidiertes Ziel in den Verhandlungen.

VIII.
Aber bringt die Reduktion von Pestiziden nicht in Ernährungssicherheit in Gefahr?

Nichtstun bringt die Ernährungssicherheit in Gefahr! Mit dem Märchen vom Hunger in der EU wird von der Agrarindustrie und der konservativen Politik ein Narrativ in die Welt gesetzt, das weit von wissenschaftlichen Fakten entfernt ist. Fakt ist nämlich: Ohne funktionierende Ökosysteme, ohne Bestäuber und fruchtbare Ackerböden werden wir in Zukunft nicht mehr genügend ernten können. Und all das wird durch den hohen Einsatz von chemischen Pestiziden akut bedroht.

Verschiedene Untersuchungen zeigen: Pestizidreduktion muss nicht zur weniger Ertrag und Gewinnen führen! Eine französische Studie geht etwa davon aus, dass bei einem Großteil der untersuchten Höfe im Schnitt mehr als 40% Spritzmittel eingespart werden könnten. Und das ganz ohne Verluste. Am Ende macht ein geringerer Pestizidverbrauch nicht nur die Landwirtschaft unabhängiger von Großkonzernen, sondern ist auch wirtschaftlich effizienter. Mit agrarökologischen Maßnahmen und landwirtschaftlicher Vielfalt statt chemischen Pestiziden und Monokulturen bauen wir robuste Systeme, die zukunftsfähig und krisenfest sind. Worauf warten wir noch?

Wie geht es nun weiter?

Neuigkeiten zu den Verhandlungen findet ihr in meinem Blogbeitrag: „Was tut sich rund um die neue Pestizidverordnung