Antibiotikaresistenzen

Sechs Fragen und Antworten zu multiresistenten Keimen.

Was, wenn die medizinische Wunderwaffe, die wir gegen alle bakteriellen Infektionen einsetzen, plötzlich nicht mehr wirkt? Wenn jeder noch so kleine Eingriff und jede entzündete Wunde plötzlich tödlich sein kann? Multiresistente Keime sind eine riesige Herausforderung für unser Gesundheitssystem. Wie und warum entstehen sie? Und vor allem: Was können wir tun, um das zu verhindern?

I.
Wie groß ist die Gefahr wirklich?

Die Weltgesundheitsorganisation listet multiresistente Keime unter den zehn größten Herausforderungen für unser Gesundheitssystem. Sie schätzt, dass 2050 schon zehn Millionen Menschen jährlich daran sterben werden, dass Bakterien sich immer besser gegen Antibiotika zur Wehr setzen. Die Keime werden resistent. Zumeist gleich gegen mehrere Antibiotika, also multiresistent. Diese multiresistenten Bakterien tauchen nicht nur im Krankenhaus auf: Sie gelangen über das Abwasser in unsere Umwelt, auf unsere Felder und schließlich auf unsere Salatköpfe. Viele von ihnen entstehen auch in der intensiven Tiermast, wo regelmäßig zu viele Antibiotika eingesetzt werden und somit wieder auf unseren Tellern landen. Zugleich machen die „Killerkeime“ nicht an Ländergrenzen Halt: Touristen schleppen multiresistente Keime ebenso bei uns ein wie importierte Ware. Das Problem ist also ein globales und braucht eine dementsprechende Lösung.

II.
Warum entstehen Resistenzen?

Antibiotika sind eine Wunderwaffe mit Ablaufdatum. Seit Alexander Fleming Ende der 1930er zufällig ein paar Bakterienkulturen verschimmeln ließ, sind etwa 70 Varianten des Medikaments auf den Markt gekommen – und sie alle haben eines gemeinsam: Sie verlieren ihre Wirksamkeit. Denn mit jedem Einsatz können die Bakterien Resistenzen gegen die Antibiotika entwickeln, so dass diese beim nächsten Notfall vielleicht nicht mehr wirken. Außerdem können Bakterien diese Widerstandsfähigkeit durch einen Genaustausch auch weitergeben. So breiten sich Resistenzen aus. Dieses Ablaufdatum war aber von Anfang an kein Geheimnis. Fleming selbst betonte, dass seine Entdeckung sparsam eingesetzt werden müsse. Das Problem: Genau das tun wir nicht.

Zum einen werden deutlich zu viele Antibiotika in der Humanmedizin verschrieben und oft falsch eingenommen: Setzt man die Medikamente nämlich zu früh ab, kann das dazu führen, dass die überlebenden Bakterien Resistenzen entwickeln. Zum anderen wird ein großer Teil der Antibiotika am Tier eingesetzt: Weltweit fließen etwa 70% in die Tierhaltung. Schlimmer noch: Oft handelt es sich bei diesen Antibiotika um Reserveantibiotika, die eigentlich unter Verschluss bleiben sollten. Denn bei der Entdeckung eines multiresistenten Keims, sind diese Medikamente oft der letzte Ausweg.

III.
Warum muss man überhaupt Schweinen und Puten so viele Antibiotika geben?

Das liegt vor allem an den Haltungsbedingungen: In intensiver Mast werden die Tiere eng zusammengepfercht, wodurch sich Keime umso schneller ausbreiten können. Gleichzeitig ist es in größeren Herden schwierig, die kranken Tiere schnell zu erkennen und zu isolieren. Oft werden Antibiotika daher metaphylaktisch verabreicht: Das heißt, dass die ganze Herde vorbeugend behandelt wird, sobald ein Tier erkrankt. Die Antibiotika werden dabei über das Trinkwasser oder das Futter gegeben, wodurch einige Tiere nicht genügend Medikamente fressen. So bilden sich Resistenzen. Zudem werden Antibiotika in vielen Ländern auch prophylaktisch und zur Leistungssteigerung eingesetzt. Damit Tiere schneller wachsen, wird also ein Medikament unwirksam gemacht, ohne welches unsere moderne Medizin hilflos wäre.

IV.
Welche Lebensbereiche sind neben
der Medizin und Ernährung noch betroffen?

Wie tief das systematische Ausmaß der Antibiotika geht, lässt sich zum einen auch in den Rückständen von Antibiotika in natürlichen Gewässern wie Bächen, Flüssen, und Seen erkennen. Somit gelangen Stoffe in die Umwelt, die extrem gefährlich für Mikroorganismen sind und lokale Ökosysteme angreifen, wie zum Beispiel die Unterbindung der Bildung von Algen, die wiederum für andere Lebewesen in der Nahrungskette relevant sind. Wo Rückstände von Antiboitika und resistente Bakterien in Gewässern sind, ist auch die Aufbereitung für unser sauberes Trinkwasser ist teuer – der Steuerzahler trägt diese externen Kosten mit.

In unserer globalisierten Welt existiert eine nicht zu vernachlässigende Verbreitung von resistenten Bakterien durch Tourismus. Reisende können somit Resistenzen aus Ländern „importieren“. Dies ist ein besonderes Risiko bei Touristen aus jenen Ländern, die dem Schutz der Umwelt und einem nachhaltigen Antibiotikaeinsatz nicht ausreichend nachkommen.

V.
Wieso lassen wir nicht einfach neue Antibiotika für Menschen entwickeln?

Es gibt eine Menge Antibiotika auf dem Markt, auf die sich schon viele Resistenzen gebildet haben. Die Entwicklung dieser Stoffe ist teuer und bringt wenig Profit, da die Medikamente bezahlbar bleiben müssen. Das Risiko ist zu hoch, dass sich sehr schnell Resistenzen auf ein neues Medikament bilden, sodass die Vermarktung aufgrund sinkender Nachfrage vorzeitig gestoppt werden könnte. Ein Medikament, was bis zu eine Milliarde Euro an Entwicklung benötigt, kann also nur minimal vermarktet werden, um keine Resistenzen hervorzurufen. Diese mangelnden wirtschaftlichen Aussichten halten Pharmakonzerne davon ab, Geld in die Forschung neuer Antibiotika zu investieren. Im Jahr 2016 gründete sich beispielsweise die „AMR Industrie-Allianz“ der IFPMA (ein Internationaler Pharmaverband), dessen Mitglieder jedoch in großer Zahl aus der Forschung neuer Wirkstoffe ausstiegen. Die Allianz bestätigte im Frühjahr 2022 erneut, dass Investitionen in neue Antibiotika sich verringern oder komplett fehlen, da der Markt kaum Margen erbringt, die für Investoren interessant sind.
Der Markt hat in dieser Hinsicht leider versagt, da er die Bedrohung der öffentlichen Gesundheit nicht selbst herstellen kann. Um dieses Dilemma aufzulösen, braucht es klare Leitlinien und Modelle aus der Politik, um die Weiterentwicklung von wirksamen Antibiotika zu gewährleisten. Eine Möglichkeit wäre, Forschung mit öffentlichen Geldern zu finanzieren und die Herstellung dieser Stoffe patenfrei zu ermöglichen. Ziel muss es sein, die öffentliche Gesundheit über das kommerzielle Interesse der Privatwirtschaft zu stellen. Zwar besitzt die EU keine Kompetenz in Gesundheitsfragen, jedoch wäre eine Koordinierung und Forschung neuer Wirtschaftsmodelle auf europäischer Ebene hier sinnvoll, denn multiresistente Keime machen nicht an Grenzen halt.

VI.
Was wird in der EU bereits getan?

Seit 2006 ist in es in der Europäischen Union verboten, Antibiotika einfach nur zur Wachstumsförderung in die Futtertröge zu kippen. Aber in der Realität reicht ein solches Verbot noch lange nicht aus, solange prophylaktische und metaphylaktische Behandlungen weiterhin erlaubt sind. Denn so kann, auch auf reinen Verdacht hin, weiterhin die ganze Herde Antibiotika erhalten. 2018 hat die Europäische Kommission also eine Verordnung über Tierarzneimittel verabschiedet, die seit 1. Januar 2022 in allen Mitgliedsländern gilt: Darin wird zum Beispiel geregelt, dass Antibiotika nicht mehr prophylaktisch gegeben werden dürfen. Ein Schritt in die richtige Richtung. Metaphylaxe bleibt allerdings weiterhin erlaubt: Sobald ein Tier erkrankt, erhalten also wieder alle anderen Tiere Antibiotika. Es muss dementsprechend noch mehr getan werden. Einige EU-Staaten gehen mit gutem Beispiel voran.

VII.
Was könnte noch getan werden?

Die Spitzenreiter im Kampf gegen Antibiotika sind in der EU Schweden, Dänemark und die Niederlande: In Schweden werden pro Kilogramm gehaltenem Tier – eine Einheit zur Berechnung der Antibiotikamenge – etwa 11,8 mg (2015) Antibiotika eingesetzt. Zum Vergleich: In Österreich wurden im selben Jahr 50,7 mg Antibiotika verabreicht, in Spanien gar 402 mg (Mehr Daten und Zahlen hier).
Die Strategien dieser Länder setzen darauf, zuerst einmal stärker einzuschränken, wann überhaupt Antibiotika an Tiere verabreicht werden dürfen. Außerdem hat jedes Land zusätzliche Lösungen gefunden: So dürfen in Schweden Tierärzte Antibiotika zwar verschreiben, aber nicht verkaufen, wodurch für sie kein finanzieller Anreiz besteht. In Dänemark sind die Steuern auf Antibiotika deutlich höher als jene auf Impfungen und in den Niederlanden gilt ein ähnliches Kartensystem wie im Fußball: Hier gibt es ein nationales Ziel dafür, wie viele Antibiotika ein Betrieb verabreichen darf. Wer das überschreitet, bekommt eine gelbe Karte zugewiesen. So eingestufte Betriebe dürfen dann zum Beispiel keine Tiere mehr an „grüne“ Betriebe verkaufen.

Alternativen zur Behandlung mit chemischen Antibiotika gibt es, jedoch müssen diese weiter erforscht und entwickelt werden. Hier bietet sich die Phagentherapie sowohl für Menschen als auch für Tiere an, bei der sogenannte Bakteriophagen (Viren) eingesetzt werden, die ausschließlich bestimmte Bakterien gezielt angreifen können und für Menschen ungefährlich sind. Diese setzen sich an die Bakterien fest und bringen sie zum Platzen. Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten in den Behandlungen mit körpereigenen Stoffen, beispielsweise mit Milchsäurebakterien zur Behandlung von Mastitis bei Kühen.

Gesetze und politische Ziele können allerdings nur wirksam greifen, wenn Antibiotika in der Humanmedizin gezielter eingesetzt werden. In Krankenhäusern sollten Antibiogramme zur Erfassung von möglichen Resistenzen zur Routine gehören, um den Patient:innen richtig zu helfen. Die strengen Hygienevorschriften (z.B. Desinfektion) in Krankenhäusern müssen eingehalten werden. Dazu benötigt es ausreichend und fair bezahltes Personal sowie Obergrenzen für Bettenbelegungen, um die Einhaltung der Vorschriften nachhaltig gewährleisten zu können.

 

Nicht zuletzt fängt der Kampf gegen Antibiotikaresistenzen bereits auf unserem Teller statt. Wenn wir deutlich weniger Fleisch essen, senken wir die Anreize auf der Produktionsseite dazu, möglichst viele Tiere auf engem Raum unter den geringsten Haltungsbedingungen zu halten. Ein Wandel weg von vielem Fleisch aus ungerechter Haltung hinzu geringem aber qualitativ hochwertigem Fleischkonsum aus artgerechter Haltung legt den Grundstein dafür.

VIII.
Wofür kämpfe ich?

Das Problem ist für mich grundlegender Natur und sollte deshalb an der Wurzel angepackt werden. Das beginnt schon bei der Zucht: Denn Masttiere werden heute zunehmend auf Leistung getrimmt. Sie sollen schnell wachsen, um auch möglichst schnell auf die Schlachtbank und weiter ins Kühlregal wandern zu können. Diese überzüchteten Rassen haben aber zumeist ein schlechtes Immunsystem und sind daher anfälliger für Krankheiten. Hier muss also ein Umdenken erfolgen, um den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren. Zusätzlich muss sich auch die Tierhaltung selbst verändern: Bessere Hygienebedingungen, mehr Platz und weniger Stress sind ganz entscheidende Faktoren, um Krankheiten gleich im Keim zu ersticken. Das Thema Antibiotikaresistenzen macht klar: Wesensgemäße Haltung ist nicht nur besser für die Tiere, sondern für uns alle. Zuletzt braucht es aber auch strengere Gesetze, vor allem für den Einsatz von Reserveantibiotika: Diese müssen ausschließlich den Menschen vorbehalten sein. Denn wir werden sie mit Sicherheit noch dringend brauchen.

Ihr wollt mehr wissen?

Kein Problem! Ich habe für euch Reportagen zum Thema gesammelt:

arte: Killer-Keime

Gefahr aus dem Tierstall: Diese arte-Dokumentation wirft einen umfassenden Blick auf  Antibiotikaresistenzen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der intensiven Tierhaltung, durch die sich multiresistente Erreger noch rasant ausbreiten können.

Die ZEIT: Margot G. rettet ihr Leben

 2014 veröffentlichte ein Journalistenteam in der ZEIT eine vierteilige, multimediale Reportage zum Thema “Antibiotikaresistenzen”. Was die Geschichte der Pensionistin Margot G., die sich mit einem multiresistenten Erreger infiziert, mit der Agrarlobby zu tun hat, lest ihr hier.