Farm To Fork

Sechs Fragen und Antworten zum Visionspapier der europäischen Kommission

Was kann, was will, was wird das ominöse Visionspapier namens „Farm-To-Fork“-Strategie in Europa verändern? Hier die Hardfacts zu einer lang erwarteten Strategie für Europas Lebensmittelsysteme.

I.
Was ist das eigentlich?

Die Farm-To-Fork-Strategie, manchmal liest man auch die deutsche Bezeichnung „Vom Hof auf den Tisch“, ist ein Visionspapier, das die EU-Kommission im Mai 2020 veröffentlicht hat. Ebenso wie die Biodiversitäts- und die Zero-Waste-Strategie ist dieses Papier Teil des Green Deals, der Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen soll.

II.
Warum ist die Farm-To-Fork-Strategy so wichtig?

Mit der Farm-To-Fork-Strategie (F2F-Strategie) hat die EU-Kommission erstmals ein Visionspapier entworfen, das die Lebensmittelkette ganzheitlich betrachtet – von der Ackerfurche über den Bauernmarkt bis zum Kochtopf. Eine Weiterentwicklung der Anbaumethoden muss Hand in Hand mit einer Veränderung der Verarbeitungsmethoden und des Konsumverhaltens gehen, um wirklich erfolgreich zu sein, stellt die Kommission fest. Und allein bei den Anbaumethoden gibt es schon genug zu tun: Rund 40% der Fläche in der EU werden für Landwirtschaft genutzt – darin liegt großes Potential, aber auch eine große Gefahr. Denn wenn auf fast der Hälfte des europäischen Bodens nicht nachhaltig gewirtschaftet oder falsch investiert wird, kann das verheerende Folgen haben. Aufgrund von nicht nachhaltigen Anbaumethoden gehen jetzt schon jedes Jahr rund 75 Billionen Tonnen an Erde verloren – das ist übrigens eine Zahl mit zwölf Nullen. 

Gleichzeitig gilt es aber am anderen Ende der Lebensmittelkette zum Beispiel Verschwendung einzudämmen – unvorstellbare 88 Millionen Tonnen Genießbares landen jährlich in der EU im Müll. Nicht zu vergessen die Lebensmittelverarbeitung und -vermarktung, die irgendwo zwischen diesen beiden Enden liegt. Eine Vielfalt an Themen muss also bedacht werden. Gerade deshalb ist es umso entscheidender, eine einheitliche Strategie zu finden und die Agrarwende zum nachhaltigen Ernährungssystem voranzutreiben. Damit am Ende des Tages auf 100% der europäischen Teller gesundes und nachhaltig produziertes Essen landet. Ob die F2F-Strategie hier das Blatt wenden kann?

III.
Was genau steht jetzt in diesem Strategiepapier?

1. Einen gesetzlichen Rahmen schaffen

Hier legt die Europäische Kommission fest, dass sie bis 2023 einen gesetzlichen Rahmen für eine nachhaltige Lebensmittelkette in Europa festlegen wird. Gleichzeitig soll ein Plan aufgestellt werden, um die Lebensmittelversorgung in Europa sicherzustellen.

2. Lebensmittelproduktion: Weniger Pestizide dafür mehr Biobauern

Die Farm-To-Fork-Strategie setzt, wie es der Name schon sagt, direkt in den Ackerfurchen und im Stall an. Als Ziele formuliert die Kommission in diesem Bereich zum Beispiel eine Reduktion von Pestiziden: Bis 2030 sollen im Ackerbau um die Hälfte weniger chemische Insektenvernichter, Herbizide und Co zum Einsatz kommen. Auch den synthetischen Düngemitteln geht es an den Kragen. Sie sollen in der gleichen Zeit um 20% reduziert werden. Zusätzlich plant die Kommission, den Einsatz von Antibiotika stark einschränken: In zehn Jahren sollen es nur noch halb so viele sein wie heute. Das gilt vor allem für die Tierhaltung, für die in Europa jährlich 6.500 Tonnen Antibiotika verkauft werden.  Als letztes Ziel formuliert die Kommission mehr biologische Landwirtschaft. 25% der Flächen in der EU sollen in zehn Jahren biologisch bewirtschaftet werden. Zum Vergleich: Aktuell liegt der Anteil im europäischen Durchschnitt bei 7,5%.

3. Lebensmittelverarbeitung: Kreislaufwirtschaft und weniger Einwegverpackungen

In diesem Bereich geht es vor allem um die Unternehmen, die Lebensmittel verarbeiten und/oder verkaufen. Die Kommission möchte zum Beispiel die Lebensmittelindustrie verpflichten, ihre Unternehmensstrategien nachhaltiger zu gestalten. Das trifft etwa Werbestrategien: Dass ohnehin verbilligtes Fleisch zudem auch noch groß angepriesen wird, soll in Zukunft verhindert werden.

Außerdem sollen Kreislaufwirtschaftsmodelle unterstützt werden. Dazu gehört die Verpackung von Lebensmitteln: Die Kommission möchte hier die Verwendung wiederverwertbarer Materialien fördern

4. Lebensmittelkonsum: Mehr Salat und weniger Schnitzel

Gut, das ist jetzt gar ein wenig vereinfacht dargestellt, aber tatsächlich geht es in der F2F nicht nur um eine Veränderung der Lebensmittelproduktion, sondern auch im Konsum. Und da lässt sich da vor allem eines feststellen: Wir Europäer*Innen essen zu viel Fleisch und zu wenig pflanzliche Produkte – das hat Folgen: Ein Fünftel der Tode in der EU lässt sich direkt auf die Ernährung zurückführen. Um das zu ändern, setzt die Kommission in ihrer Strategie vor allem auf Information. Einheitliche Etiketten auf allen Lebensmitteln sollen es den Konsument*innen leichter machen, gesunde Entscheidung zu treffen.

5. Lebensmittelverschwendung: Weniger Biomüll

Die Kommission möchte den Anteil der weggeworfenen Lebensmittel deutlich verringern: Pro Kopf soll sie bis 2030 halbiert werden und das ist auch bitter nötig, denn in der EU werden aktuell jährlich 88 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Oder anschaulicher: Wenn wir all diese Lebensmittel in Laster laden würden, könnten wir eine Reihe von Lastern bilden, die eineinhalb Mal um die Erde geht. 53% dieser weggeworfenen Lebensmittel stammen übrigens aus Haushalten. Hier muss sich also dringend etwas tun.

IV.
Und wann genau passiert da wirklich etwas?

Die Kommission hat ihre Pläne nicht im luftleeren Raum geschmiedet: Um die gesetzten Ziele zu erreichen, wurden 27 Aktionen festgelegt, die jeweils einen eigenen Zeithorizont haben. Im Falle der Reduktion von Lebensmittelverschwendung soll zum Beispiel bis 2023 ein fixer Gesetzesrahmen für die Reduzierung stehen, der dann auch in allen Mitgliedsstaaten gilt.

Mehr zu den einzelnen Zeithorizonten gibt es hier.

V.
Was ist das Besondere daran? Ist doch nur ein weiteres Strategiepapier?

Das Besondere ist, dass zum ersten Mal die gesamte Lebensmittelkette in die Überlegungen für eine nachhaltigere Entwicklung von Gesamteuropa miteinbezogen wird. Die F2F-Strategie setzt Ziele, die buchstäblich vom Acker bis zum Teller reichen. Von nachhaltigeren Anbaumethoden und glücklicheren Tieren über einheitliche Etiketten für Lebensmittel hin zu weniger Genießbarem im Müll. Im Gegensatz zur Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (hier interner Link zum Q&A zur GAP), die trotz aller Reformen immer noch hauptsächlich die Einkommen der Landwirte sichert, geht die Farm-To-Fork-Strategie also einen ganzheitlichen Weg.

VI.
Das klingt dann eh perfekt?

Richtig, grundsätzlich ist an der Farm-To-Fork-Strategie wenig auszusetzen, ein paar Anmerkungen gibt es doch:

Erstens: Auf Worte müssen Taten folgen

Zum einen handelt es sich bislang nur um eine Strategie, also um Visionen der Kommission. Zur konkreten Umsetzung der Ziele ist daher nur wenig in dem Papier zu finden. Außerdem sind diese Ziele im Moment auch noch nicht bindend, weil sie nicht gesetzlich verankert sind. Zwar erwähnt die Kommission in ihrer Strategie, dass sich über die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik einiges erreichen ließe, aber an einer konkreten Verankerung der F2F-Strategie mangelt es im aktuellen Entwurf für die GAP ab 2023 noch. Die Europäischen Grünen arbeiten demnach gerade daran, Ziele der F2F-Strategie hier fix einzubinden, um sicherzugehen, dass aus diesen hochtrabenden Plänen auch etwas wird und die Ziele des Green Deals eingehalten werden können. 

Zweitens: Ursachen anstatt Symptome bekämpfen

Zuletzt muss gesagt werden, dass hier zwar an vielen Stellschrauben gedreht wird, aber ob das am Ende zur Agrarwende führen wird, ist fraglich. Den viel zu oft werden hier immer noch nur die Symptome des Problems behandelt. So ist es zum Beispiel gut und schön, mehr Futtermittel in der EU zu produzieren, aber das ändert nichts an dem Grundproblem, dass wir zu viele Futtermittel benötigen, da wir Europäer*innen zu viel Fleisch konsumieren. Laut der Food and Agriculture Organization (FAO) kommen da pro Jahr 64,8 Kilogramm Fleisch, auf eine(n)  Europäer*in. Für Österreicher*innen liegt diese Zahl gar bei 95 Kilogramm. Technische Lösungsvorschläge sind ein Anfang, aber die Farm-To-Fork-Strategie muss sich  den zugrundeliegenden Problemen widmen. Lieber Ursachen anstatt Symptome bekämpfen, das muss das Ziel sein.