
Saatgut
Zwischen Vielfalt, Monopolen und Anpassung
Ob winzig und federleicht, rund, sichelförmig, hart oder rau: Saatgut ist die Basis unseres Daseins und ein Inbegriff von Vielfalt. In der Landwirtschaft geht der Trend aber seit Jahrzehnten in eine andere Richtung. Nur neun Pflanzenarten machen heute zwei Drittel der gesamten Pflanzenproduktion aus. Gleichzeitig kontrollieren lediglich vier Unternehmen einen Großteil des Saatgutmarktes. Ausgerechnet jene Konzerne, die auch den Pestizidmarkt dominieren. Aber was sollen wir mit pestizidresistenten, auf Einförmigkeit getrimmten Sorten? Vielmehr brauchen wir Pflanzen, die ohne den Zusatz von Düngemitteln und Pestiziden gute Erträge erbringen und widerstandsfähig gegenüber Klimaveränderungen und Schädlingen sind. Die haben es in der EU jedoch aktuell schwer, überhaupt zugelassen zu werden. Hier erfahrt ihr mehr über die Bedeutung von Saatgut und wie ich mich auf EU-Ebene für Saatgutvielfalt stark mache!
Saatgut: eine Geschichte von Vielfalt und Anpassung
Vor rund 13.000 Jahren säte der Mensch erstmalig systematisch Wildpflanzen aus. Daraus entstanden die Urformen unserer heutigen Kulturpflanzen. Bauern und Bäuerinnen setzten ihre eigenen Pflanzen an und tauschten die Samen untereinander. So entstand eine große Vielfalt an lokalen Sorten, die eine an den Standort angepasste Landwirtschaft ermöglichten. Denn Europa liegt nicht nur in drei unterschiedlich großen Klimazonen, sondern birgt noch dazu eine immense Diversität an regionalen Mikroklimata und verschiedenen Bodenarten. So gibt es im niederösterreichischen Tullnerfeld beispielsweise das „Tullner Kraut“, das dank des jahrzehntelangen Anbaus optimal an das feuchte Klima und die fruchtbaren Böden der Region angepasst ist und einen außergewöhnlichen Geschmack hat. Heute ist das Kraut kaum mehr zu finden.

Sortenschutz und Monopolisierung
Warum? In den vergangenen Jahrhunderten beginnend mit der Industrialisierung, wurde Saatgut zunehmend kommerzialisiert. Als Handelsware wurden Pflanzen mit größtmöglichem Ertrag gezüchtet, um viele Gewinne zu machen. Doch nicht immer stimmte die Qualität. Man begann, Sorten zu registrieren und Patente zu vergeben. Ziel war es, die Qualität zu sichern, leider ohne Rücksicht auf die Vielfalt, die immer mehr schwand. 1934 erließ man in Deutschland die erste Saatgutverordnung und drei Jahre später in Österreich. Alles, was nicht auf dieser offiziellen Liste stand, durfte nicht angebaut werden. Eine fatale Entscheidung für viele regionale, alte Landsorten.

Großen Unternehmen hingegen bot dieses neue System – gemeinsam mit der Industrialisierung und Standardisierung der Landwirtschaft – perfekte Bedingungen. Heute beherrscht eine Handvoll Großunternehmen den globalen Saatgutmarkt, an vorderster Stelle die Chemiekonzerne Corteva, ChemChina-Syngenta, BASF und Bayer-Monsanto. Gemeinsam mit zwei weiteren Unternehmen decken sie über 60 Prozent des Weltmarktes für kommerzielles und patentiertes Saatgut ab.
Gefangen in der Abhängigkeit
Die Macht dieser Konzerne treibt die Landwirtschaft in die Abhängigkeit. Denn damit das Saatgut ertragreiche Pflanzen hervorbringt, braucht es chemische Pestizide und Düngemittel. Diese werden im Komplettpaket zusammen mit dem Saatgut verkauft. Die Folge: Betriebskosten steigen, Bauern verlieren ihre Souveränität und hängen am Tropf der Großkonzerne. Für manche Pflanzenarten wie Mais oder Roggen gibt es etwa fast nur noch Hybridsamen zu kaufen. Sie versprechen höhere Erträge für eine Generation, müssen im nächsten Jahr allerdings zwingend wieder neu gekauft werden.
Die Folgen dieser Monopolisierung sind nicht zuletzt fatal für die Vielfalt: Ein großer Teil des weltweiten Nahrungsmittelbedarfs wird von nur fünf Nutztierrassen und neun Pflanzenarten gedeckt. Laut Schätzungen der UNO haben wir seit Anfang des 20. Jahrhunderts schon rund drei Viertel der landwirtschaftlichen Vielfalt verloren. Gerade Endverbraucher*innen haben immer weniger Zugang zur Arten- und Sortenvielfalt. Wusstet ihr, dass es mehr als 3.000 verschiedene Tomatensorten gibt? Im Supermarkt finden wir aber immer nur dieselben fünf. Das Gleiche gilt für andere Obst- und Gemüsearten. Wann habt ihr im “klassischen“ Supermarkt etwa zuletzt Kerbelrüben, Portulak oder Dicke Bohnen gesehen?

Einmaleins des Saatguts
Ob Landsorte oder Hybridsaatgut, samenfest oder gentechnisch verändert – wenn wir über Saatgut reden, wird es schnell technisch. Aber was bedeutet das eigentlich alles? Hier sind die wichtigsten Unterschiede!
31.3.23 Fast 3.000 Ergänzungen
Gestern ist die offizielle Frist zur Einreichung von Änderungsanträgen, so genannten Amendments, abgelaufen. Alle Fraktionen konnten hier eigene Änderungen am Text oder auch Streichungen beantragen. Und da ist so einiges zusammengekommen: alle Fraktionen zusammen haben etwa 2.800 Amendments zum Bericht eingereicht. In den nächsten Monaten müssen wir daraus dann Kompromissvorschläge erarbeiten und mit den Schattenberichterstatter*innen der anderen Fraktionen verhandeln.
02.03.23 Der Bericht ist veröffentlicht!
Heute habe ich meinen Bericht zur SUR im Umweltausschuss vorgestellt! Nach vielen Gesprächen mit Expert*innen und monatelanger Arbeit liegt der Vorschlag auf dem Tisch, jetzt bin ich gespannt auf die Änderungsvorschläge, die meine Kolleg*innen der anderen Fraktionen einbringen werden. Wie sieht so eine Vorstellung eines Berichtes aus? Hier meine Rede dazu: https://www.youtube.com/watch?v=Zr2QwIFy9Pg&t=5s
20.02.23 Der Zeitplan ist da!
Nach langem hin und her ist nun endlich geklärt, wie es mit der SUR weitergeht: der Agrarausschuss stimmt im Juli über seinen Bericht ab, der Umweltausschuss im September nach der Sommerpause. Im Oktober geht das Dossier dann in die Plenumsabstimmung – gibt es dort eine Mehrheit, bleibt noch ein wenig Zeit für Verhandlungen mit dem Rat – vorausgesetzt, die Mitgliedsstaaten schaffen es, sich bis dahin auf eine gemeinsame Position zu einigen. Noch ist also nichts in Stein gemeißelt.
02.02.23 Keine Einigung über den Zeitplan
Der Vorschlag der Kommission liegt schon lange auf dem Tisch, in wenigen Wochen veröffentlichen wir den Bericht, der einen ersten Vorschlag für die weiteren Verhandlungen im Parlament darstellen wird. Doch wie es dann weitergeht, steht immer noch nicht fest. Nachdem die Zuständigkeiten zwischen dem Agrar- und dem Umweltausschuss inzwischen geklärt sind, ist ein gemeinsamer Zeitplan der nächste Streitpunkt. Viele Fraktionen im Agrarausschuss wollen erst mit der Arbeit beginnen, wenn die Kommission ihre zusätzlichen Daten zur Folgenabschätzung veröffentlicht hat – also erst im Sommer. Unser Kompromissangebot wurde abgelehnt.
21.12.22 Schlechte Nachrichten vor Weihnachten
Nach langem Hin und Her haben die Mitgliedsstaaten nun die Kommission offiziell dazu verpflichtet, weitere Folgenabschätzungen zur SUR durchzuführen. Das bedeutet: Die Kommission muss mehr Informationen zu den Auswirkungen des neuen Gesetzes darlegen. Zum Beispiel in Bezug auf Ernährungssicherheit. Das kann dauern und im schlimmsten Fall die Verhandlungen im Rat verzögern. Aber eine Hoffnung bleibt: Im Jänner 2023 wird die Ratspräsidentschaft von den agrarpolitisch-konservativen Tschech*innen an die eher progressiven Schwed*innen übergeben. Schweden hat damit für die nächsten sechs Monate im Rat den Hut auf und bestimmt Prioritäten. Für die SUR könnte das überlebenswichtig sein!
18.11.22 Knickt die Kommission ein?
Schon seit ihrer Veröffentlichung erfährt die neue Pestizidverordnung (SUR) massiven Gegenwind. Besonders debattiert: das Totalverbot von Spritzmitteln in den sogenannten sensiblen Gebieten. Dies würde neben Städten und Nationalparks auch Natura-2000 und Landschaftsschutzgebiete betreffen, in denen teils Landwirtschaft betrieben wird. Die EU-Mitgliedsstaaten sind dagegen von Anfang an Sturm gelaufen. Nun gibt die Kommission diesem immensen Druck nach. In einem Papier macht sie inoffizielle Vorschläge, wie der Rat den Text abändern könnte. Das geschieht, bevor die Verhandlungen im Parlament überhaupt begonnen haben und könnte Vorbote eines Deals sein, der die Verordnung massiv abschwächt.
11.11.22 Weiter Tauziehen in der Zuständigkeitsdebatte
Endlich gibt es eine Empfehlung der Ausschussvorsitzenden im Parlament zur Aufteilung der Zuständigkeiten für die SUR. Ursprünglich lag das Dossier nur im Umweltausschuss, aber der Agrarausschuss wollte nun auch mitreden. Diese Entscheidung hätte ein wichtiger Schritt vorwärts sein können, um endlich die Blockade gegen Fortschritt bei diesem Dossier zu durchbrechen. Nun muss diese Empfehlung nur noch von den Fraktionsvorsitzenden abgesegnet werden.
20.10.22 Stockender Prozess - welcher Ausschuss darf wo mitarbeiten?
Eigentlich ist es höchste Zeit, mit der parlamentarischen Arbeit am Kommissionsvorschlag zu beginnen. Doch es gibt wieder Verzögerungen: Der Agrarausschuss möchte nun auch unbedingt mitreden. Eigentlich liegt die Federführung für die Pestizidverordnung aber beim Umweltausschuss. Immerhin geht es vorrangig um den Schutz von Umwelt und Gesundheit.
Nun hat der Agrarausschuss einen Antrag auf geteilte Kompetenzen gestellt – und wir müssen abwarten, was die Ausschussvorsitzenden im Parlament sagen.
17.10.22 Alleingänge im Ausschuss
Ein Vorsitzender macht noch keinen Ausschuss – auch wenn Norbert Lins das vielleicht anders sieht. Als Vorsitzender des Agrarausschusses hat er in dessen Namen von der Kommission gefordert, ihren Vorschlag zur SUR komplett zurückzuziehen. Das ist keine geteilte Position!
Warum überhaupt zurückziehen? Lins meint, dass der Vorschlag eine Gefahr für die EU-Landwirtschaft sei. Gefährlich ist in Wahrheit aber die rückwärtsgewandte Agrarpolitik, die Lins hier vertritt. Denn er stellt sich gegen eine nachhaltige Agrarwende. Die brauchen wir aber dringend, um auch in Zukunft unsere Gesundheit, fruchtbare Böden, sauberes Wasser, die Artenvielfalt und damit letztendlich auch die Landwirtschaft selbst zu bewahren.
26.09.22 Massiver Widerstand im Agrarministerrat
Neben der Position des Parlaments wird auch die des Rates, also der Mitgliedsstaaten, für die neue Pestizidverordnung entscheidend sein. Da stehen die Zeichen aber nicht nur auf Gegenwind, sondern auf Sturm. Mehrere Mitgliedsstaaten – darunter Österreich – forderten heute im Rat neue Folgenabschätzungen. Die SUR würde die Ernährungssicherheit gefährden, argumentieren sie. Bleibt zu hoffen, dass sich die Kommission davon nicht einschüchtern lässt. Weitere Folgenabschätzungen könnten die Arbeit an der Verordnung verzögern.
29.7.22 Ich bin Berichterstatterin
Jedes Dokument, das im EU-Parlament bearbeitet wird, braucht einen Berichterstatter oder eine Berichterstatterin – für die SUR bin das nun ich! Das bedeutet: Ich werde in Abstimmung mit den Grünen einen Bericht über die neue Verordnung verfassen. Danach sind alle anderen Fraktionen dran und dürfen durch ihre sogenannten Schattenberichterstatter*innen auch Änderungsvorschläge einbringen. Gemeinsam müssen wir dann eine Position finden, die im Umweltausschuss abgestimmt werden kann. Doch das ist nur der erste Schritt: Auch das ganze Plenum mit allen Abgeordneten muss den Bericht noch absegnen. Sobald das geschehen ist, beginnt der Trilog mit der Kommission und dem Rat, also den Mitgliedsstaaten. Doch ein Schritt nach dem anderen. Erst mal liegt eine Menge Arbeit im Parlament vor mir, denn nicht alle sind für weniger Gifte auf unseren Äckern und eine zukunftsfähige Landwirtschaft.
22.6.22 Der Kommissionsentwurf ist da!
Es ist so weit – nach langem Warten hat die Kommission ihren Entwurf für die SUR vorgestellt. Da haben wir also noch einiges an Arbeit vor uns. Auch im Vorschlag der Kommission sehen wir noch viele, teilweise sehr gravierende Schwachpunkte und Baustellen. Unter dem Liveticker findest du meine wichtigsten Forderungen und Ziele, mit deren Hilfe aus dem Kommissionsvorschlag noch ein gutes Gesetz werden kann.
27.03.22 Der Vorschlag wird nach hinten verschoben
Eigentlich wollte die Kommission schon diesen Monat ihren Entwurf für die Überarbeitung der Richtlinie zum nachhaltigen Einsatz von Pestiziden in der EU vorstellen – doch nun wurde das auf unbestimmte Zeit verschoben. Begründet wird das mit der russischen Invasion in die Ukraine, die die Diskussion rund um Ernährungssicherheit in der Europäischen Union angeheizt hat. Das nutzen konservative Politiker und die Agrarlobby aus, um die Ziele von Green Deal und Farm-to-Fork-Strategie zu torpedieren. Sie plädieren nun dafür, die EU-Nachhaltigkeitsziele neu zu bewerten bzw. gleich ganz über Bord zu werfen. Doch ohne fruchtbare Böden, sauberes Wasser, intakte Ökosysteme, große Artenvielfalt und resiliente Agrarökosysteme schaden wir uns und der europäischen Ernährungssicherheit langfristig viel mehr!
Wie ist Saatgut in der EU geregelt?
Inzwischen ist die Zulassung von Saatgut auf EU-Ebene geregelt. Will ein Züchter eine neue Sorte vermarkten, muss er sie erst registrieren. Das klingt unkompliziert, doch ganz so einfach ist das nicht. Das Saatgut wird über mehrere Jahre hinweg aufwendig nach den drei so genannten DUS-Kriterien geprüft – gemeint sind damit Distinctness, Uniformity, Stabiliy:
- Sind die Pflanzen, die aus dem Saatgut entstehen, einheitlich genug?
- Wachsen sie auch unter wechselnden Umweltbedingungen gleich?
- Und grenzen sie sich von anderen Sorten klar ab?
Insgesamt kann es durchaus 25 Jahre dauern, ehe eine neue Sorte einsatzfähig ist. Der Zulassungsprozess kommt den Antragssteller*innen außerdem teuer. Für Kleinbetriebe schwierig zu stemmen. Starke Monopole sind das Resultat: Im Gemüsebau etwa kontrollieren fünf Prozent der Unternehmen ganze 95 Prozent des Saatgutes. Das müssen wir dringend ändern!

Meine Forderungen
- Die rechtlichen Hürden für Hobby-Züchter*innen und nicht-gewerbliche Verwender*innen von Saatgut müssen fallen. Das fördert die Vielfalt!
- Die Weitergabe von selbstgezüchtetem Saatgut und zu Forschungszwecken oder zur Erhaltung der lokalen Vielfalt sollte unkompliziert möglich sein.
- Vielfältiges und regional angepasstes Saatgut muss ohne Probleme auf den Markt kommen können und nicht nach den DUS-Kriterien geprüft werden.
- Die Bedingungen, unter denen Saatgut getestet wird, müssen sich an den Zielen der Farm-to-Fork-Strategie und der Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft richten: Pflanzen müssen guten und stabilen Ertrag erbringen – ohne auf Kosten von Biodiversität und Artenvielfalt mit chemischen Düngemitteln und Pestiziden vollgepumpt werden zu müssen.
- Die Merkmale „Nachhaltigkeit“ und „Klimaresilienz“ dürfen nicht auf Trockenheitstoleranz reduziert werden und schon gar nicht durch gentechnische Veränderung erzeugt werden.
Zusammen mit meinem Kollegen Martin Häusling habe ich eine Studie zur Saatgutreform in Auftrag gegeben, in der ihr detailliert nachlesen könnt, wie die Saatgutreform aussehen muss – für eine Landwirtschaft mit Zukunft. Schaut auch gerne in die Veröffentlichung der Studie mit Zusammenfassung und spannender Podiumsdiskussion rein!
Präsentation der „Saatgut“-Studie
Am 7. Februar 2023 präsentierte Sarah Wiener MdEP in Brüssel, die vom Verein Arche Noah (AT) verfasste Studie zu Saatgut. Die Aufnahme in deutscher Verdolmetschung ist ab sofort online zu finden.