Newsblog rund um die neue Pestizidverordnung
Als Berichterstatterin arbeite ich an einem neuen Gesetz zur Verringerung von Pestiziden in Europa. Hier findet ihr alle wichtigen Infos und die neuesten Entwicklungen zur SUR.
Belastete Gewässer und Böden, schwindende Biodiversität, aussterbende Insekten und gesundheitsgefährdende Rückstände auf den Lebensmitteln in unseren Supermärkten. Es liegt auf der Hand: wir müssen weniger Pestizide in der Landwirtschaft einsetzen.
Pestizide haben irreversible Auswirkungen auf unsere Ökosysteme, aber auch auf unsere Gesundheit. Weltweit sind 41% der Insektenarten vom Aussterben bedroht. Bei einem Drittel der europäischen Bienen und Schmetterlingsarten gehen die Populationen zurück. Aber auch die Rückstände des Ackergifts kommen uns teuer zu stehen: Allein in Frankreich werden jedes Jahr 360 Millionen Euro für die Reinigung von Trinkwasser ausgegeben. Ein Drittel des Obstes in den Supermarktregalen ist belastet. Teils handelt es sich um besonders gefährliche Stoffe, die hormonschädigend oder krebserregend sind.
Das kann so nicht weitergehen. Deshalb hat die Kommission in der “Farm to Fork-Strategie” für eine faire und umweltfreundliche Landwirtschaft festgeschrieben, dass die Nutzung von Pestiziden sowie deren Risiken um 50 % reduziert werden sollen.
Damit sich daran auch alle halten, wird gerade über die SUR verhandelt, kurz für „Sustainable Use of Plant Protection Products Regulation“. Sie löst die Vorgängerrichtlinie SUD ab, die seit 2009 in Kraft ist, aber wenig gebracht hat. Unter anderem, da eine Richtlinie nicht automatisch EU-weit rechtlich bindend ist. Das soll sich nun ändern.
Noch hat die neugeborene Verordnung aber einen langen Weg vor sich: Als Berichterstatterin für den Umweltausschuss werde ich daran arbeiten, eine starke und praxistaugliche Position des Parlaments zu finden. In diesem Live-Ticker könnt ihr alle neuesten Entwicklungen nachlesen, weiter unten findet ihr meine wichtigsten Forderungen zur SUR.

Was bisher geschah…
10.11.23 - Zähe Verhandlungen im Rat
Während die Positionsfindung im Parlament endlich voranschreitet, haben die Mitgliedstaaten noch nicht einmal grundsätzliche Kompromisse gefunden. Die spanische Ratspräsidentschaft wollte eigentlich bis Mitte Dezember eine Allgemeine Ausrichtung fertigstellen, doch bislang gibt es noch nicht einmal eine Einigung zu den beiden Kernpunkten der Verordnung: nationale Ziele und Pestizideinschränkungen in sensiblen Gebieten.
In ihrem aktuellen Vorschlag möchte die Ratspräsidentschaft in beiden Punkten stark verwässern. Verbindliche Ziele soll es defacto nicht mehr geben. Stattdessen sollen die Mitgliedstaaten freiwillige Beiträge zum EU-Ziel einer Halbierung des Einsatzes chemischer Pestizide leisten. In den sensiblen Gebieten möchte die Ratspräsidentschaft – ähnlich wie der Agrarausschuss – fast alle Pestizide erlauben. Der Schutz von Umwelt und Gesundheit in Nationalparks, Natura-2000-Gebieten, in Wohngebieten und öffentlichen Parks käme damit zu kurz.
Doch selbst für diese zahnlosen Kompromisse gibt es im Rat keine Mehrheit. Am 23. und 24. November werden die Mitgliedstaaten noch einmal beraten. Finden Sie keine Lösung, wird die Ratsposition wohl nicht mit Mitte Dezember fertig sein.
Für die weitere Arbeit an der SUR ist das fatal: Bis Ende Februar müssen alle laufenden Triloge (= Letzte Verhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission) für diese Legislaturperiode abgeschlossen sein. Wenn der Rat also dieses Jahr keine Position mehr findet, kann die Pestizidverordnung nicht mehr vor der Europawahl abgeschlossen werden.
24.10.23 - Der Umweltausschuss macht sich für praktikable Kompromisse stark
Zwei Wochen nach dem Agrarausschuss war der Umweltausschuss an der Reihe und hat eine starke Position verabschiedet. In puncto sensible Gebiete wurde eine Lösung gefunden: Pestizide, die im Ökolandbau zugelassen sind und sogenannte biologische Pestizide, die etwa auf Mikroorganismen basieren, sollen immer erlaubt sein. Aber auch für chemische Pestizide können die Mitgliedstaaten Ausnahmen machen, aber nur, wenn es wirklich notwendig ist.
Neben dem Schutz von Umwelt und Gesundheit – der Ausschuss fordert ein höheres Reduktionsziel für hochgefährliche Substitutionskandidaten, 65 statt 50% – steht auch die Unterstützung der Bäuerinnen und Bauern im Mittelpunkt des Berichts. Für Präventivmaßnahmen aus dem Integrierten Pflanzenschutz soll es verpflichtende, aber kostenlose Beratungen geben. Der Umweltausschuss fügt außerdem einen neuen Artikel zur finanziellen Unterstützung hinzu, um die Streichung des Agrarausschusses auszugleichen. Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, Fördertöpfe für die Umstellung zu schaffen.
Es gibt noch weitere gute Artikel, die der Umweltausschuss in seine Position inkludiert hat: Etwa die Forderung nach einem Exportstopp für in der EU bereits verbotene Pestizide oder den sogenannten “access to justice”, mit dem die Ziele der SUR für Umweltorganisationen und Bürger*innen einklagbar werden.
Mehr darüber in einem Video, das ich nach der Abstimmung aufgenommen habe: https://www.youtube.com/watch?v=iN9cZDxlvTg
Über die endgültige Position des Parlaments wird am Mittwoch, 22. November in Straßburg abgestimmt.
09.10.23 - Agrarausschuss verabschiedet schwache Stellungnahme
Endlich hat der Agrarausschuss über seine Position zur SUR abgestimmt. Der Inhalt der Stellungnahme enttäuscht: Der Agrarausschuss will Landwirte nicht finanziell unterstützen und sogar hochgefährliche Wirkstoffe in Schutzgebieten zulassen.
Der Hintergrund: Der Agrarausschuss hatte exklusive Kompetenz über Artikel 43, der eine Finanzierung von Integriertem Pflanzenschutz aus den Mitteln der Gemeinsamen Agrarpolitik ermöglichen soll. Dieser Artikel wurde jetzt ersatzlos gestrichen. Die Vertreter der Landwirtschaft haben damit ihrem eigenen Klientel ein Bein gestellt.
Enttäuschend sind auch die Kompromisse zu sensiblen Gebieten: Die Kommission hatte hier ursprünglich ein Totalverbot von allen Pestiziden vorgeschlagen, das aber schon lange revidiert. Der Agrarausschuss will die Vorgaben nun komplett verwässern. Nur für hochgefährliche chemische Pestizide soll es Einschränkungen geben – sogar in Naturschutzgebieten und Städten soll das gelten. Eine klare Entscheidung gegen den Schutz von Umwelt und Gesundheit.
19.09.23 - Rat plant Position zur SUR
Gute Nachrichten von der spanischen Ratspräsidentschaft: sie wollen beim Treffen des AGRIFISH am 11./12. Dezember einen „General Approach“ zur SUR annehmen. Wenn sich weder im Rat noch im Parlament etwas am Zeitplan ändert, bleibt so zumindest noch ein kleines Fenster Anfang 2024, in dem Triloge (s.u.) möglich wären.
28.08.23 - Noch 4 Monate unter spanischer Ratspräsidentschaft
Seit Anfang Juli hat Spanien die Präsidentschaft im Europäischen Rat inne. Ob es in den nächsten Monaten unter ihrer Schirmherrschaft eine Einigung der Mitgliedsstaaten zur SUR geben wird, ist unklar, die gesendeten Signale sind gemischt. Wir bleiben also gespannt. Nur wenn der Rat sich auf einen „General Approach“ einigen kann, ist der Weg frei für die interinstitutionellen Verhandlungen (auch „Triloge“ genannt) nach der ersten Lesung des Parlaments.
12.07.23 - Agrarauschuss stimmt erst im September ab
Bevor der Umweltausschuss als federführender Ausschuss seine Arbeit zur SUR abschließen kann, braucht es die Stellungnahmen aller beteiligten Ausschüsse. Der Agrarausschuss stimmt nun aber doch nicht wie geplant im Juli ab – sondern erst im Oktober. So verschiebt sich der restliche Zeitplan um einen Monat nach hinten, die SUR kann also erst im November vom gesamten Parlament abgestimmt werden. Es bleibt also noch weniger Zeit für mögliche Verhandlungen mit dem Rat.
24.05.23 - Entwicklungsausschuss nimmt Stellung
Der Umweltausschuss führt die Verhandlungen zur SUR, der Agrarausschuss hat eigene Kompetenzen – doch auch der Entwicklungsausschuss darf mitreden und eine (nicht bindende) Stellungnahme zur SUR abgeben. Das hat er gestern auch getan – und fordert mehr Aufmerksamkeit und Regeln für den Handel mit Pestiziden. Zum Beispiel sollen in der EU verbotene Pestizide nicht mehr hergestellt und exportiert werden. Hier sind alle Änderungsvorschläge des Ausschusses
08.05.23 - Die Verhandlungen auf politischer Ebene starten
Nach ersten Vorbereitungstreffen starten diese Woche die Verhandlungen zur SUR auf politischer Ebene so richtig. In den nächsten Monaten werden die Schattenberichterstatter*innen der anderen Fraktionen und ich regelmäßig über den Text der SUR und die zahlreichen Änderungsanträge verhandeln.
31.3.23 - Fast 3.000 Ergänzungen
Gestern ist die offizielle Frist zur Einreichung von Änderungsanträgen, so genannten Amendments, abgelaufen. Alle Fraktionen konnten hier eigene Änderungen am Text oder auch Streichungen beantragen. Und da ist so einiges zusammengekommen: alle Fraktionen zusammen haben etwa 2.800 Amendments zum Bericht eingereicht. In den nächsten Monaten müssen wir daraus dann Kompromissvorschläge erarbeiten und mit den Schattenberichterstatter*innen der anderen Fraktionen verhandeln.
02.03.23 - Der Bericht ist veröffentlicht!
Heute habe ich meinen Bericht zur SUR im Umweltausschuss vorgestellt! Nach vielen Gesprächen mit Expert*innen und monatelanger Arbeit liegt der Vorschlag auf dem Tisch, jetzt bin ich gespannt auf die Änderungsvorschläge, die meine Kolleg*innen der anderen Fraktionen einbringen werden. Wie sieht so eine Vorstellung eines Berichtes aus? Hier meine Rede dazu: https://www.youtube.com/watch?v=Zr2QwIFy9Pg&t=5s
20.02.23 - Der Zeitplan ist da!
Nach langem hin und her ist nun endlich geklärt, wie es mit der SUR weitergeht: der Agrarausschuss stimmt im Juli über seinen Bericht ab, der Umweltausschuss im September nach der Sommerpause. Im Oktober geht das Dossier dann in die Plenumsabstimmung – gibt es dort eine Mehrheit, bleibt noch ein wenig Zeit für Verhandlungen mit dem Rat – vorausgesetzt, die Mitgliedsstaaten schaffen es, sich bis dahin auf eine gemeinsame Position zu einigen. Noch ist also nichts in Stein gemeißelt.
02.02.23 - Keine Einigung über den Zeitplan
Der Vorschlag der Kommission liegt schon lange auf dem Tisch, in wenigen Wochen veröffentlichen wir den Bericht, der einen ersten Vorschlag für die weiteren Verhandlungen im Parlament darstellen wird. Doch wie es dann weitergeht, steht immer noch nicht fest. Nachdem die Zuständigkeiten zwischen dem Agrar- und dem Umweltausschuss inzwischen geklärt sind, ist ein gemeinsamer Zeitplan der nächste Streitpunkt. Viele Fraktionen im Agrarausschuss wollen erst mit der Arbeit beginnen, wenn die Kommission ihre zusätzlichen Daten zur Folgenabschätzung veröffentlicht hat – also erst im Sommer. Unser Kompromissangebot wurde abgelehnt.
21.12.22 - Schlechte Nachrichten vor Weihnachten
Nach langem Hin und Her haben die Mitgliedsstaaten nun die Kommission offiziell dazu verpflichtet, weitere Folgenabschätzungen zur SUR durchzuführen. Das bedeutet: Die Kommission muss mehr Informationen zu den Auswirkungen des neuen Gesetzes darlegen. Zum Beispiel in Bezug auf Ernährungssicherheit. Das kann dauern und im schlimmsten Fall die Verhandlungen im Rat verzögern. Aber eine Hoffnung bleibt: Im Jänner 2023 wird die Ratspräsidentschaft von den agrarpolitisch-konservativen Tschech*innen an die eher progressiven Schwed*innen übergeben. Schweden hat damit für die nächsten sechs Monate im Rat den Hut auf und bestimmt Prioritäten. Für die SUR könnte das überlebenswichtig sein!
18.11.22 - Knickt die Kommission ein?
Schon seit ihrer Veröffentlichung erfährt die neue Pestizidverordnung (SUR) massiven Gegenwind. Besonders debattiert: das Totalverbot von Spritzmitteln in den sogenannten sensiblen Gebieten. Dies würde neben Städten und Nationalparks auch Natura-2000 und Landschaftsschutzgebiete betreffen, in denen teils Landwirtschaft betrieben wird. Die EU-Mitgliedsstaaten sind dagegen von Anfang an Sturm gelaufen. Nun gibt die Kommission diesem immensen Druck nach. In einem Papier macht sie inoffizielle Vorschläge, wie der Rat den Text abändern könnte. Das geschieht, bevor die Verhandlungen im Parlament überhaupt begonnen haben und könnte Vorbote eines Deals sein, der die Verordnung massiv abschwächt.
11.11.22 - Weiter Tauziehen in der Zuständigkeitsdebatte
Endlich gibt es eine Empfehlung der Ausschussvorsitzenden im Parlament zur Aufteilung der Zuständigkeiten für die SUR. Ursprünglich lag das Dossier nur im Umweltausschuss, aber der Agrarausschuss wollte nun auch mitreden. Diese Entscheidung hätte ein wichtiger Schritt vorwärts sein können, um endlich die Blockade gegen Fortschritt bei diesem Dossier zu durchbrechen. Nun muss diese Empfehlung nur noch von den Fraktionsvorsitzenden abgesegnet werden.
20.10.22 - Stockender Prozess - welcher Ausschuss darf wo mitarbeiten?
Eigentlich ist es höchste Zeit, mit der parlamentarischen Arbeit am Kommissionsvorschlag zu beginnen. Doch es gibt wieder Verzögerungen: Der Agrarausschuss möchte nun auch unbedingt mitreden. Eigentlich liegt die Federführung für die Pestizidverordnung aber beim Umweltausschuss. Immerhin geht es vorrangig um den Schutz von Umwelt und Gesundheit.
Nun hat der Agrarausschuss einen Antrag auf geteilte Kompetenzen gestellt – und wir müssen abwarten, was die Ausschussvorsitzenden im Parlament sagen.
17.10.22 - Alleingänge im Ausschuss
Ein Vorsitzender macht noch keinen Ausschuss – auch wenn Norbert Lins das vielleicht anders sieht. Als Vorsitzender des Agrarausschusses hat er in dessen Namen von der Kommission gefordert, ihren Vorschlag zur SUR komplett zurückzuziehen. Das ist keine geteilte Position!
Warum überhaupt zurückziehen? Lins meint, dass der Vorschlag eine Gefahr für die EU-Landwirtschaft sei. Gefährlich ist in Wahrheit aber die rückwärtsgewandte Agrarpolitik, die Lins hier vertritt. Denn er stellt sich gegen eine nachhaltige Agrarwende. Die brauchen wir aber dringend, um auch in Zukunft unsere Gesundheit, fruchtbare Böden, sauberes Wasser, die Artenvielfalt und damit letztendlich auch die Landwirtschaft selbst zu bewahren.
26.09.22 - Massiver Widerstand im Agrarministerrat
Neben der Position des Parlaments wird auch die des Rates, also der Mitgliedsstaaten, für die neue Pestizidverordnung entscheidend sein. Da stehen die Zeichen aber nicht nur auf Gegenwind, sondern auf Sturm. Mehrere Mitgliedsstaaten – darunter Österreich – forderten heute im Rat neue Folgenabschätzungen. Die SUR würde die Ernährungssicherheit gefährden, argumentieren sie. Bleibt zu hoffen, dass sich die Kommission davon nicht einschüchtern lässt. Weitere Folgenabschätzungen könnten die Arbeit an der Verordnung verzögern.
29.7.22 - Ich bin Berichterstatterin
Jedes Dokument, das im EU-Parlament bearbeitet wird, braucht einen Berichterstatter oder eine Berichterstatterin – für die SUR bin das nun ich! Das bedeutet: Ich werde in Abstimmung mit den Grünen einen Bericht über die neue Verordnung verfassen. Danach sind alle anderen Fraktionen dran und dürfen durch ihre sogenannten Schattenberichterstatter*innen auch Änderungsvorschläge einbringen. Gemeinsam müssen wir dann eine Position finden, die im Umweltausschuss abgestimmt werden kann. Doch das ist nur der erste Schritt: Auch das ganze Plenum mit allen Abgeordneten muss den Bericht noch absegnen. Sobald das geschehen ist, beginnt der Trilog mit der Kommission und dem Rat, also den Mitgliedsstaaten. Doch ein Schritt nach dem anderen. Erst mal liegt eine Menge Arbeit im Parlament vor mir, denn nicht alle sind für weniger Gifte auf unseren Äckern und eine zukunftsfähige Landwirtschaft.
22.6.22 - Der Kommissionsentwurf ist da!
Es ist so weit – nach langem Warten hat die Kommission ihren Entwurf für die SUR vorgestellt. Da haben wir also noch einiges an Arbeit vor uns. Auch im Vorschlag der Kommission sehen wir noch viele, teilweise sehr gravierende Schwachpunkte und Baustellen. Unter dem Liveticker findest du meine wichtigsten Forderungen und Ziele, mit deren Hilfe aus dem Kommissionsvorschlag noch ein gutes Gesetz werden kann.
27.03.22 - Der Vorschlag wird nach hinten verschoben
Eigentlich wollte die Kommission schon diesen Monat ihren Entwurf für die Überarbeitung der Richtlinie zum nachhaltigen Einsatz von Pestiziden in der EU vorstellen – doch nun wurde das auf unbestimmte Zeit verschoben. Begründet wird das mit der russischen Invasion in die Ukraine, die die Diskussion rund um Ernährungssicherheit in der Europäischen Union angeheizt hat. Das nutzen konservative Politiker und die Agrarlobby aus, um die Ziele von Green Deal und Farm-to-Fork-Strategie zu torpedieren. Sie plädieren nun dafür, die EU-Nachhaltigkeitsziele neu zu bewerten bzw. gleich ganz über Bord zu werfen. Doch ohne fruchtbare Böden, sauberes Wasser, intakte Ökosysteme, große Artenvielfalt und resiliente Agrarökosysteme schaden wir uns und der europäischen Ernährungssicherheit langfristig viel mehr!
Neues Video: Sarah besuchte eine Landwirtschaft, die auf weniger Pestizide und Mineraldünger setzt
Der Landwirt Étienne Allard zeigt in diesem Video Sarah Wiener, wie er seine „Farm de Warelles“ ökonomisch und ökologisch Hand in Hand mit der Natur erfolgreich führt, was ihn dazu bewegt hat und wie es ihm der Boden mit mehr Resilienz dankt.
Knackpunkte im Vorschlag der Kommission
Als Berichterstatterin liegt es an mir, einen Bericht zu dem Gesetzesentwurf der Kommission zu verfassen und diesen erst mit dem gesamten Parlament und anschließend im Trilog mit Rat und Kommission zu verhandeln. Dafür stehe ich natürlich mit den Schattenberichterstatter*innen der anderen Fraktionen, Stakeholdern, Expert*innen und Praktiker*innen im Austausch. Folgende Punkte sind mir in der neuen Verordnung besonders wichtig.
Keine Schlupflöcher für Mitgliedsstaaten
Insgesamt sollen Einsatz und Risiko von Pestiziden in der EU um die Hälfte reduziert werden. Da die Mitgliedsstaaten aber schon unterschiedlich viel Vorarbeit geleistet haben, hat die Kommission in ihren Vorschlag auch flexible Zielsetzungen inkludiert. Zwischen 35 und 65% sollen in den einzelnen Staaten eingespart werden. Wichtig ist hier, dass die Mitgliedsstaaten ihre Ziele auch erfüllen. Schlupflöcher darf es keine geben. Dazu fehlen im Kommissionsvorschlag aber bisher überzeugende Mechanismen.

Ernsthafte Umsetzung von Integriertem Pflanzenschutz
Eigentlich muss der sogenannte Integrierte Pflanzenschutz – oder auch IPM – schon seit 2014, dem Inkrafttreten der alten Sustainable Use Direction, umgesetzt werden. Das Ziel: Chemische Pestizide nur als Mittel der letzten Wahl einzusetzen. Davor werden alle Alternativen ausgelotet. Etwa lange Fruchtfolgen, Zwischen- und Untersaaten, gezielte Förderung von Nützlingen oder auch die biologische Schädlingskontrolle. Mehr Details über IPM lest ihr in der Infobox!

Infobox: Integrierter Pflanzenschutz
Erst vorbeugende Maßnahmen, dann biologische Schädlingsbekämpfung und nur im Notfall, wenn bestimmte Schadschwellen überschritten sind, kommen chemische Pestizide zum Einsatz – das ist die Grundidee des Integrierten Pflanzenschutzes.
Statt direkt die Chemiekeule zu schwingen, gibt es verschiedene Stufen, die nacheinander zur Schädlingsprävention und -bekämpfung genutzt werden:
- Vorbeugende agronomische Praktiken wie Fruchtfolgen, robuste Sorten, Unter- und Zwischensaaten, Schutz und Förderung von Nützlingen
- Überwachung, Vorhersagen, Warnungssysteme
- Mechanische/physische und natürliche Bekämpfung
- Biologische Bekämpfung (Biologische Pestizide, wie Pheromone, Pflanzenextrakte, Mikroben)
- Chemische Bekämpfung
Diese werden oft in Form der IPM-Pyramide visualisiert, deren Grundlage die Prävention durch agronomische Praktiken bildet:
Gefährlichkeit beachten
statt Mengen abwiegen
Der Einsatz und das Risiko von chemischen Pestiziden soll bis 2030 um 50% reduziert werden. Aber ein Kilo eines hochtoxischen synthetischen Pestizids ist deutlich schädlicher als die gleiche Menge einer Substanz wie Backpulver oder Schwefelkalk. Darum werden Pestizide in der SUR nach den sogenannten harmonisierten Risikoindikatoren bewertet. Dafür werden sie in verschiedene Risikokategorien eingeordnet und gefährlichere Pestizide mit einem höheren Faktor gewichtet als die mit niedrigem Risiko. Dieser Faktor liegt je nach Risikokategorie jedoch nur bei 8 bzw. 16 und reicht somit nicht aus, um die Giftigkeit einiger Substanzen angemessen widerzuspiegeln, die sich teilweise um das tausendfache unterscheidet. Außerdem ist das Schema der Risikokategorien sehr ungenau – zwei Drittel aller Pestizide fallen in dieselbe Kategorie. Das wird den unterschiedlichen Risiken, die von verschiedenen Substanzen ausgehen, nicht gerecht.

Infobox: Ein Rechenbeispiel aus der Praxis
Um einen Hektar Apfelplantage gegen Apfelschorf zu behandeln, werden etwa 7,5 Kilo Backpulver gebraucht, jedoch nur 56 Gramm Difenoconazol. Letzteres ist tausendfach giftiger als das Hausmittel Backpulver. Geht es nach dem aktuellen Risikoindikator in der SUR, wird das Fungizid dennoch als weniger gefährlich eingestuft, einfach, weil kleinere Mengen benötigt werden. Das zeigt: Der Risikoindikator macht nicht, was er sollte.
Sensible Gebiete praxistauglich schützen
Wenn ich mit Bäuerinnen und Bauern über die SUR spreche, kommt vor allem ein Thema zur Sprache: das vorgesehene Komplettverbot von Pestiziden in sensiblen Gebieten. Tatsächlich sieht der Kommissionsvorschlag vor, dass in sensiblen Gebieten gar keine Pestizide eingesetzt werden dürfen – auch nicht die, die für den Ökolandbau zugelassen sind. Das würde zum Beispiel Wein- und Obstbauern in Niederösterreich vor große Probleme stellen. Doch das ist nur der erste Vorschlag der Kommission. Bis die SUR als Gesetz verabschiedet wird, kann und wird sich noch viel ändern.

Wir müssen Pestizide reduzieren. Wir wollen die Chemiekeule, wenn überhaupt, nur als letztes Mittel. Wir wollen die gefährlichsten Pestizide möglichst schnell nicht mehr auf unseren Äckern haben. Aber wir wollen Landwirtschaft auch nicht verunmöglichen – ich bin selbst Bäuerin und setze mich für meinen Berufsstand ein. Daher arbeiten wir hier an einer Lösung, die einen ernsthaften Schutz der Agrarökosysteme und der EU-Bürger*innen sicherstellt, aber auch für die Landwirte praxistauglich ist.

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