Burger aus der Petrischale

Was steckt hinter In-Vitro-Fleisch?

Auf der Suche nach ökologischen Lösungen für unser Ernährungssystem wird seit neuestem eine weitere Möglichkeit diskutiert – Essen aus dem Labor. Aber können Kunstfleisch und Co. halten, was sie versprechen?

Der Status Quo

Dass unsere Klimaziele mit der intensiven Landwirtschaft nicht zu erreichen sind, ist inzwischen bekannt. Die Massentierhaltung sorgt für Unmengen an Treibhausgasen und verbraucht gleichzeitig viele Ressourcen wie Land und Wasser. Vom Tierwohl ist hier noch gar nicht die Rede. Wir haben also schon jetzt ein gewaltiges Problem. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung – 2040 werden wir wohl 8,5 Milliarden Menschen ernähren müssen. Auf der Suche nach Lösungen wird immer häufiger auf Fleisch aus dem Labor verwiesen – sogenanntes „In-Vitro-Meat“.
Das Versprechen: weniger Tierhaltung, ohne dass die Menschheit auf ihr Steak verzichten muss. Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Leider ist es das auch. Denn bei genauem Hinschauen zeigt sich, dass Kunstfleisch mehr Probleme verursacht als es Lösungen schafft.

Von der Zelle zum Steak

Wie wächst nun so ein Steak in der Petrischale heran? Vereinfacht gesagt wird einem lebenden Tier eine Gewebeprobe entnommen, aus der dann eine einzelne Stammzelle extrahiert wird. Zur Stammzelle wird Wachstumsserum gegeben et voilà: die Zelle multipliziert sich selbst, Kunstfleisch wächst heran. Im Bioreaktor bilden die einzelnen Zellen Mikrofasern und verbinden sich zu Muskeln. Dafür braucht es eine kontrollierte, sterile Umgebung. Die Muskeln werden zermahlen, mit Aromen und Nährstoffen angereichert und in Form gepresst – und fertig ist zum Beispiel der Burgerpatty. Das Wachstumsserum besteht in einigen Fällen übrigens immer noch aus dem Blut ungeborener Kälber. Immerhin setzen inzwischen mehr Firmen auf Alternativen wie Algenextrakte.

Ist das nicht eine gute
Lösung?

Nicht ganz – die Nachteile sind gravierend. So ist die Herstellung sehr energieintensiv: für eine Tonne In-Vitro Fleisch werden 18 – 25 Gigajoule Energie benötigt. Das ist etwa fünf Mal so viel, wie die Herstellung von herkömmlichem Fleisch verbraucht. Die Frage ist: Können wir uns solche Stromfresser wirklich leisten? Europa will und muss klimaneutral werden – und braucht dafür Strom aus Erneuerbaren in allen Bereichen der Gesellschaft. Gerade der russische Angriffskrieg hat uns schmerzlich vor Augen geführt, dass wir immer noch enormen Nachholbedarf haben. Im Kampf gegen den Klimawandel ist jede Kilowattstunde extrem kostbar. Wenn In-Vitro-Lebensmittel aber nicht ausschließlich aus regenerativen Energien hergestellt werden, macht man den Bock zum Gärtner und das Kunstfleisch zu einer echten Belastung für unser Klima.

Apropos „leisten können“: die Kosten für künstliches Fleisch sind derzeit extrem hoch: etwa 60 € pro Kilogramm im günstigsten Fall. Außerdem müssten allein 1,8 Billionen Dollar in Bioreaktoren investiert werden – um gerade mal 10% des weltweiten Fleischkonsums zu decken. Laborfleisch kann also maximal eine Ergänzung für die europäische Produktpalette sein, ist aber sicher keine Antwort auf globale Hungersnöte.

Die kostspieligen Investitionen führen gleich zum nächsten Haken: Stemmen könnten solche Unsummen wohl nur all jene großen Firmen, die schon kräftig in der Branche mitmischen. Unter den Hauptinvestoren finden sich bekannte Namen wie Nestle, Cargill und JBS. In-Vitro-Produkte machen uns also noch abhängiger von jenen, die an den ökologischen Katastrophen unserer Zeit nicht ganz unschuldig sind.

Und wie schmeckt das Ganze?

Als Köchin weiß ich, wie wertvoll guter Geschmack ist. Die Natur stellt uns unzählige Möglichkeiten zur Verfügung, Lebensmittel zuzubereiten, miteinander zu kombinieren und so immer wieder einzigartige Geschmackserlebnisse zu erzeugen.
Trotz unzähliger Produkte findet man diese Vielfalt kaum noch in unseren Supermärkten. Verarbeitete Lebensmitteln enthalten nur noch ein Viertel der 10.000 natürlichen Aromen. Ich bin also skeptisch, wenn Nahrungsmitteln der Geschmack künstlich hinzugefügt werden muss, damit sie überhaupt genießbar sind. Die Erfinder von In-Vitro Produkten geben übrigens selber zu, dass ihr größtes Problem der Geschmack ist.

Laborfleisch ist nicht die
Lösung – aber was dann?

Wir Menschen neigen oft dazu, in schwarz und weiß und weiß zu denken. Die Alternative zu Massentierhaltung wäre also, komplett auf Tierhaltung zu verzichten. Doch das ist gar nicht nötig. Eine Viehhaltung, bei der die Natur im Mittelpunkt steht, ist unterm Strich sogar besser für den Planeten: wir können so Nahrung auf Grasland erzeugen, dass für Ackerbau nicht geeignet ist. Weideland schützt außerdem das Klima und ist enorm wichtig für den Erhalt der Biodiversität. Auf einem einzigen drei Tage alten Kuhfladen finden sich bis zu 4.000 Insekten, denen der Dung als Nahrungsgrundlage dient. Davon profitieren auch Vögel, Reptilien und Amphibien.

Beißen Wiederkäuer Gras ab, wird es zum Wachsen animiert. Durch Wurzelreste und Co sind Wiesen und Weiden ein wichtiger Baustein für eine klimaresiliente Zukunft: sie speichern ein Drittel des globalen organischen Kohlenstoffs und schützen gleichzeitig vor Erosion. Statt Megaställen brauchen wir also extensive Weiden und kleine Herden. Und, Hand aufs Herz, wer möchte grasende Rinder in Österreichs Bergidylle missen?

Solche Dienste an der Natur und am Menschen sind mit Kunstprodukten jedenfalls nicht zu erreichen

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