Biodiversität

Summen, Zwitschern und Blätterrauschen im Wind: Das sechste Massensterben bringt die Erde rasant zum Verstummen. Was die EU dagegen tut.

Ob Eisbär oder Tiger, wenn wir über Biodiversität reden, denken wir oft an exotische Tiere und wilde Wälder. Doch auch vor unserer Haustür ist der Verlust von Arten direkt spürbar. Wer weiß zum Beispiel noch, wie eine Feldlerche klingt? Und wo bleiben die Insektenschwärme, die wir vom Sommer kennen? Spätestens mit der großen medialen Aufmerksamkeit für das Bienensterben dürfte klar sein, dass noch viel mehr auf dem Spiel steht: Ohne Natur können wir uns langfristig nicht mehr mit Nahrung versorgen. Wir dürfen also die zweite große Umweltkrise neben dem Klima nicht vergessen: den Rückgang der Biodiversität.

Mehr als nur Artenvielfalt

Die Biodiversität nimmt weltweit ab – so schnell wie seit dem Aussterben der Dinosaurier nicht mehr. Expert*innen sprechen schon vom sechsten Massenaussterben in der Geschichte der Erde. Damit bröckeln auch die kostbaren Ökosystemdienstleistungen, von denen wir alle profitieren. Mangroven zum Beispiel schützen besser vor Sturmfluten als jeder Deich. Gesunde Böden filtern Schadstoffe aus dem Wasser. Aus intakten Ökosystemen bekommen wir Rohstoffe, Medizinalpflanzen und saubere Luft. Beim Anbau unserer Lebensmittel spielt die Biodiversität auch eine wichtige Rolle: Bienen und Schmetterlinge bestäuben unsere Nutzpflanzen. Nützlinge sind wichtig für die Bekämpfung von Blattläusen und anderen Schädlingen.

Was verbirgt sich überhaupt hinter dem Begriff Biodiversität?

1. Artenvielfalt

Der Erhalt der vielen verschiedenen Tier- und Pflanzenarten, von Mikrobien und Pilzen ist essentiell. Denn in der Natur sind viele Spezies aufeinander angewiesen: Mit den Insekten sterben auch die Feldvögel aus, weil sie keine Nahrung mehr finden. Fehlt die falsche Art, kann das ganze System kippen. Nur durch den Erhalt der Artenvielfalt können Ökosysteme intakt bleiben

2. Vielfältige Ökosysteme

Ohne vielfältige Lebensräume können die meisten Arten nicht überleben. Ein Vogel braucht beispielsweise einen Lebensraum zum Brüten, Schutz und Nahrung – und das alles ausreichend nah beieinander. Außerdem macht Vielfalt widerstandsfähig: In einem trockenen Sommer ist der feuchtere schattige Tümpel im Wald vielleicht der letzte Zufluchtsort.

3. Genetische Vielfalt

Mehr Trockenheit durch den Klimawandel? Ein vielfältiger Genpool ermöglicht einer Art die Anpassung an neue Lebensumstände – sei es durch Evolution oder, wie in der Landwirtschaft, durch Züchtung. Doch damit das möglich ist, brauchen wir vielfältige Genpools, Sorten und Rassen überhaupt erhalten. Mehr zur Saatgutvielfalt lest ihr hier.

Was können wir also tun?

Der Rückgang der Biodiversität hat viele Gründe. Neben dem Klimawandel, invasiven Arten und Übernutzung (z.B. Überfischung) spielen Umweltgifte und veränderte Lebensräume eine entscheidende Rolle. Hier kommt die Landwirtschaft ins Spiel: ausgeräumten Landschaften bieten keinen Lebensraum, Pestizide schaden Flora und Fauna und überschüssige Nährstoffe belasten Gewässer. Dabei wissen wir, wie es bessergeht. In Europa ist eine kleinteilige, vielfältige Landwirtschaft mit Hecken, Bäumen und mehrjährigen Blühstreifen und Brachen für viele Tiere und Pflanzen ein wahres Paradies. Extensiv beweidetes Grasland ist eines der artenreichsten Habitate in Europa. Kein Wunder: Auf einem einzelnen, drei Tage alten Kuhfladen finden sich bis zu 4.000 Insekten.

Die gute Nachricht: wir wissen, was zu tun ist. Hecken pflanzen und Blühstreifen säen. Flüsse frei fließen lassen, die so vielfältige Lebensräume schaffen und Flutschäden vermeiden. Grasland extensiv beweiden statt die Nutzung aufzugeben oder zu intensivieren. Wälder naturnah bewirtschaften und so gleichzeitig Holz gewinnen und die Biodiversität fördern.

Ein weiter Weg zum beschlossenen Ziel

Wir sind sogar schon auf dem Weg dorthin. 2022 hat die Weltgemeinschaft sich in Montreal auf konkrete Naturschutzziele geeinigt. Auch die EU bekennt sich dazu, bis 2030 mindestens 30% der degradierten Lebensräume wiederherzustellen und 30% der Land- und Meeresflächen zu schützen. In ihrer Biodiversitätsstrategie hat die EU dafür Ziele festgelegt – nun müssen sie auch wirklich umgesetzt werden. Für die Landwirtschaft heißt das: weniger Pestizide, mehr naturnahe Flächen, mehr Bestäuber. Kurz gesagt: Agrarökologie statt Agrarindustrie.

Das Ziel ist klar, doch der Weg steinig. Einer der beiden wichtigsten Gesetzentwürfe für die europäische Biodiversität („Nature Restoration Law“) wäre beinahe an einer groß angelegten Kampagne der Konservativen gescheitert und wurde schlussendlich deutlich verwässert. Den anderen Gesetzesentwurf zur Pestizidreduktion verhandele ich derzeit. Vor uns liegen aber noch mehr große Aufgaben. Zum Beispiel muss die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik dringend reformiert werden, um Bauern und Biodiversität zu unterstützen – und nicht den Investor mit dem meisten Land.

Geld für Naturschutz? Lohnt sich!

Denn auch wenn manche beharrlich das Gegenteil behaupten: in die Biodiversität zu investieren, nützt auf lange Sicht allen – der Natur, der Gesellschaft, der Wirtschaft und ja, auch der Landwirtschaft. Jeder Euro, der in die Wiederherstellung der Natur investiert wird, zahlt sich aus – die Natur zahlt es uns mit Dienstleistungen im Wert von 8 bis 38 Euro zurück. Eine Win-win-Situation für Mensch und Biodiversität.

Ihr wollt mehr wissen?

Als Berichterstatterin arbeite ich an einem neuen Gesetz zur Verringerung von Pestiziden in Europa und damit einem wesentlichen Thema zum schutz unserer Biodiversität. Im meinem Newsblog findet ihr alle wichtigen Infos und die neuesten Entwicklungen zur SUR.