Die Stilllegung des Insektensummens und Vogelzwitscherns

Zur aktuellen Lage der Lebensmittelversorgung

Ab nächstem Jahr gilt die neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) in der EU. Die hart erkämpften Umweltschutzregelungen für den Fruchtwechsel und für die Flächenstilllegung werden jedoch außen vor gelassen – auf Kosten der Biodiversität.

Auf Biodiversität
wird gepfiffen

Unser Ökosystem muss sich dringend erholen und geschützt werden, so die Wissenschaft, Umweltverbände und ein Großteil der Gesellschaft. Doch für das Jahr 2023 wird auf den Schutz von Vielfalt und Biodiversität erstmal gepfiffen: Stattdessen gilt weiterhin das Dogma der Produktionssteigerungen, befeuert durch den Ukraine-Krieg. Und das, obwohl erst der Input von außen (Pestizide, Mineraldünger) unser Agrarsystem so fragil und abhängig von globalen Krisen gemacht hat. 

 

Was sind die GLÖZ-Standards der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik?

Eine Neuerung der der Gemeinsamen Agrarpolitik (ab 2023) sind die sogenannten Standards für Guten Landwirtschaftlichen und Ökologischen Zustand (GLÖZ).
Darunter zählt GLÖZ-7 Standard, auch bekannt als Fruchtfolge-Regelung. Dieser sieht vor, dass ein Fruchtwechsel auf dem Acker stattfindet: Auf den Flächen eines Betriebes soll jedes Jahr eine andere Kultur angebaut werden anstatt Weizen nach Weizen.  GLÖZ-8 (Brachen-Regelung) schreibt ein Mindestanteil von vier Prozent an nicht-produktiven Flächen und Landschaftselementen auf Ackerflächen vor. Solche Brachen bestehen aus Ackerland, welches das ganze Jahr nicht bewirtschaftet wird. Sie sind von hohem Wert für den Erhalt von Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten.

Die Kommission gibt nun den Mitgliedsstaaten zusätzlich zu der Ausnahme von der Fruchtwechselregelung auch die Brachen (GLÖZ-8) zur Bewirtschaftung für das Jahr 2023 frei. Nachdem mehrere Mitgliedsstaaten und die Lobby der Agrarindustrie (der europäische Bauerndachverband Copa/Cogeca und der französische Bauernverband FNSEA) die Kommission um Ausnahmen von den GLÖZ-Standards aufgefordert haben, gab die Kommission nun nach. Sie überlässt nun den Mitgliedstaaten selbst die Entscheidung über bestimmte Nachhaltigkeitsziele. Auch Österreich gab bereits bekannt, die Pflicht zur Stilllegung von 4% der Ackerflächen für das Jahr 2023 auszulassen. Das bedeutet, dass Flächen, die zum Schutz von Biodiversität und Artenvielfalt eigentlich nicht beackert werden dürfen, nun zur Aussaat zur Verfügung stehen.

In der Studie „Ukraine-Krieg und globale Lebensmittelversorgung“ heißt es: Die ökologischen Kosten von Ausnahmen bei Brachen sind im Verhältnis zum Produktionspotential jedoch zu hoch und nicht zu rechtfertigen. 

 Wenigstens berücksichtigte die Kommission bei ihrer Entscheidung, dass nicht noch mehr wertvolle Ackerflächen für die Tierernährung verwendet werden- die Ausnahme zählt nicht für Mais und Sojabohnen.

Zudem fallen Kurzumtriebsplantagen nicht unter die Ausnahmeregelung. Kurzumtiebsplanagen sind schnell wachsende Energiepflanzen. Wir brauchen den Acker in erster Linie für die menschliche Ernährung!

In Österreich sprechen wir hier von 9.000 Hektar Fläche. Mit den potentiellen Erträgen dieser Flächen könnten wir gerade einmal 0,1 Prozent des Ernteausfalls in der Ukraine ersetzen. Selbst die Bewirtschaftung der Brachen der gesamten EU könnten nur weniger als 10% der gesamten fehlenden Exporte der Ukraine ersetzen.
Ich kritisiere die Freigabe der Kommission und hoffe, dass sich die Mitgliedsstaaten sehr gut überlegen, ob sie ihre Brachen zur Bewirtschaftung auch für das Jahr 2023 freigeben lassen.

Feldaus, Feldein,
kein Vögelein.

Brachen bieten einen wichtigen Lebensraum für Ackerwildkräuter sowie für Bodenbrüter wie die Feldlerche oder das Rebhuhn. Auch nützliche Insekten fühlen sich in Brachen wohl und tragen mit regulierenden Effekten wie der Schädlingsunterdrückung und Bestäubung zu einem funktionierenden Ökosystem bei. Eine Nutzung der Brachen würde einem synchronisierten Kahlschlag im Bereich Biodiversität gleichkommen, da bestimmte Arten bei einer vollständigen Nutzung der Brachen keine Ausweichmöglichkeiten hätten.

Alle Krisen sind schon da.

Was wir brauchen, sind eine effiziente Verwendung der heimischen Ernten, konkrete Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung und ein Stopp der Agrartreibstoffproduktion. Solange 62% des Getreides in der EU in den Futtertrog wandert und wir jeden dritten Stier in die Tonne werfen, läuft einiges schief! Wir haben nicht nur eine Ernährungskrise, sondern auch eine Klimakrise und Biodiversitätskrise. Wir müssen das Klima und die Biodiversität schützen, um unsere Ernährung langfristig zu sichern. Das können wir aber nur, wenn wir auf die biologische Landwirtschaft und weniger Pestizide setzen, weil dadurch die Vielfalt und resiliente Ökosysteme gefördert werden.

 

Kein Verfügbarkeits- sondern ein Verteilungsproblem

Die Kommission hat erst diesen Monat die Marktprognose veröffentlicht, dass hohe Getreideexporte aus der EU erwartet werden. Mit den geschätzten 33,5 Mio t. Nettoausfuhren an EU-Getreide im Jahr 2022/2023 wären das die höchsten Exportmengen seit 2014/15. Die große Frage ist nur, ob das Getreide auch dort ankommt, wo es benötigt wird. Zudem ist es nach wie vor Unsicher, wie schnell das Getreide aus der Ukraine geschafft werden kann. Selbst bei dem Plan der Kommission, das Getreide aus der Ukraine zu schaffen ohne den Seeweg zu nutzen (Solidarity Lanes), war ernüchternd. Eine Mission des Agrarausschusses des Europäischen Parlaments zweifelten an der ukrainisch-polnischen Grenze, ob die Bemühungen greifen.

Weiterführende Infos dazu in der Studie von „Ukraine-Krieg und globale Lebensmittelversorgung

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