Ein Stück Fleisch und 15 Zusatzstoffe

Für mehr Transparenz in der Lebensmittelindustrie

Cordons Bleus mit zig Zusatzstoffen und versteckter Fleischkleber: Gar so appetitlich ist industrielle Lebensmittelproduktion nicht – und erst recht nicht transparent. Eine arte-Dokumentation hat sich diese industrielle Pfuscherei genauer angesehen und für Sarah den Anstoß zu einer schriftlichen Frage an die Kommission gegeben. Per Blogbeitrag auf Reise in die Hexenküche Lebensmittelindustrie. 

So ein knuspriges Cordon Bleu ist schnell gemacht: Raus aus der Plastikverpackung und rein in die Pfanne. Fünf Minuten später liegt das panierte Hühnerfleisch samt gelbem Schmelzkäse und Schinken dampfend auf dem Teller. Gschmackig, oder? Nicht wirklich. Zumindest nicht mehr, wenn man sich die Dokumentation “Mahlzeit! Hexenküche Lebensmittelindustrie” angeschaut hat, in der ein solches Cordon Bleu hergestellt wird. Hergestellt? Richtig gelesen, denn von Kochen kann nicht die Rede sein. Stattdessen löffelt hier eine Frau im Labor Fleischzubereitung aus rechteckigen Formen. Dieser Hühnermatsch – besser kann man es nicht beschreiben – besteht aus Muskeln und Haut. Eigentlich also Restln, aus denen ein Schnitzel werden soll. Dazu braucht es jede Menge Pülverchen von Weizenfasern bis Traubenzucker, die wohldosiert in die Fleischzubereitung eingerührt werden.

Knetmasse – pardon: Käse

Anschließend wird das fertige Schnitzel auf Backpapier aufgestrichen, eine Scheibe Putenschinken draufgeklatscht und dann noch ein Stück Schmelzkäse von der großen Stange geschnitten. Die helle Käsezubereitung erinnert im Rohzustand eher an Knetmasse als essbare Milchprodukte. Im fertigen Produkt soll sie aber wie Raclettekäse aussehen und wurde dafür – dreimal dürft ihr raten – mit Zusatzstoffen vollgestopft. So etwa mit Schmelzsalzen, deren einziger Zweck es ist, den Käse geschmeidig zu machen und glänzen zu lassen. Zusätzlich erhöhen diese Salze übrigens das Risiko für Gefäßkrankheiten. Aber egal, Panier drüber, in Fett herausbacken und Mahlzeit!

Exkurs: Arbeit im Europaparlament

Unter Parlamentarischen Anfragen versteht man Fragen, die Mitglieder des Europaparlaments an andere EU-Organe, etwa die Kommission, stellen können. Diese Fragen können die unterschiedlichsten Themengebiete abdecken – von Regelungen für Schlachthäuser bis zu den Obergrenzen für Barzahlungen – und entweder per Aussprache, in einer Fragestunde oder schriftlich beantwortet werden. Sarah hat eine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gestellt. Die Kommission wird ihr also einen kurzen Text – maximal 25 Zeilen übrigens – zurückschicken. Wie lange diese Antwort auf sich warten lässt, variiert und hängt auch davon ab, ob die Frage mit Vorrang gestellt wurde. Fragen mit Vorrang können ohne größere Nachforschungen bearbeitet werden und müssen daher innerhalb von drei Wochen beantwortet werden. Für alle anderen Fragen sind sechs Wochen vorgesehen. Und da jeder MdEP insgesamt fünf Anfragen im Monat stellen kann, kommt da einiges zusammen. Falls ihr Zeit habt, könnt ihr alle diese Fragen übrigens auf der Website des Parlaments nachlesen. 

Zum Schluss noch ein kleiner Bonus-Fakt zu schriftlichen Anfragen: Bis 2004 wurden ALLE Anfragen und Antworten in ALLE Amtssprachen der EU übersetzt. Weil das der Union auf Dauer aber zu teuer wurde und die MdEPs auch ein wenig zu fleißig Fragen stellen, hat man das inzwischen eingegrenzt. Jetzt sind Anfragen nur noch in der Sprache, in der sie gestellt wurden, sowie auf Englisch verfügbar.

Keine Deklarationspflicht für Fleischkleber 

So wird aus dreißig Zutaten und fünfzehn Zusatzstoffen ein Cordon Bleu, für das man eigentlich nur Schnitzel, Schinken, Käse, ein Ei und Semmelbrösel brauchen würde. Und dabei ist das erst die halbe Miete, denn diese Liste enthält nur, was auch auf der Verpackung angegeben ist. Wer weiß, vielleicht wurde für dieses Cordon Bleu auch ein wenig Transglutaminase benutzt, ein Enzym, das als eine Art Fleischkleber fungiert und die Masse zusammenhält. Erfahren würden wir das nie.

Denn Transglutaminase gilt, wie viele andere Enzyme, als Verarbeitungshilfsmittel und muss folglich nicht deklariert werden. Begründet wird das damit, dass diese Stoffe durch Back- oder Kochprozesse deaktiviert würden. 

Aber ist das wirklich so? Und überhaupt: Transparenz sieht anders aus. Das kann Sarah natürlich nicht auf sich beruhen lassen. Sie hat deshalb eine parlamentarische Anfrage (siehe Infobox) an die Kommission gestellt.

Nachgefragt: Warum eigentlich?

250 verschiedene Verarbeitungshilfsmittel – technische Enzyme – kommen in der Lebensmittelproduktion der EU zum Einsatz. Das geschieht allerdings hinter verschlossenen Türen, so dass die Verbraucher*innen an der Nase herumgeführt werden. Sarah hat deshalb einige Fragen dazu an die Kommission.

I. Clean Leabel: Einfach mal Zusatzstoffe nicht erwähnt

Seit Zusatzstoffe mit einer E-Nummer in Verruf geraten sind, steigen immer mehr Konzerne auf sogenannte “Clean Label”-Produkte um. In der Regel werden dann schlicht Zusatzstoffe durch technische Enzyme ersetzt, die ja nicht deklariert werden müssen. So kann die Liste der Inhaltsstoffe auf dem Etikett schnell verkürzt werden. Wie gedenkt die Kommission dieser Entwicklung entgegenzutreten? 

II. Enzyme lösen sich nicht in Luft auf

Enzyme werden als „technische Verarbeitungshilfsstoffe“ verwendet und sind nicht kennzeichnungspflichtig, da davon ausgegangen wird, dass sie durch den Herstellungsprozess inaktiviert werden. Das ist aber zum Beispiel für Backwaren bereits widerlegt worden. Warum müssen die Enzyme dennoch nicht gekennzeichnet werden?

III. Zulassung: Wo bleibt die Liste?

Es ist vorgesehen, eine Liste mit jenen Enzymen zu erstellen, die in der EU zugelassen sind. Schon 2015 hat die Kommission dafür ein Register mit den EU-weit eingesetzten Enzymen aufgesetzt – dennoch kommt es noch keinen Termin für die Veröffentlichung der endgültigen Liste mit den zugelassenen – und damit gesundheitlich unbedenklichen – Enzymen. Wann wird die Kommission dieses Dokument veröffentlichen?

 

Eine Antwort auf die Anfrage, die übrigens elf MdEPs aus fünf verschiedenen Ländern unterzeichnet haben, ist spätestens für Anfang April zu erwarten. Wir halten euch natürlich auf dem Laufenden!

 

Das kann doch nicht gesund sein!

 

Die genauen Auswirkungen von technischen Enzymen auf unsere Gesundheit ist noch nicht restlos aufgeklärt, sicher ist aber, dass mit Zusatzstoffen vollgestopfte, stark verarbeitete Lebensmittel die Bakterienflora in unserem Darm negativ beeinflussen. Und ein verarmtes Mikrobiom kann wiederum Auslöser für zahlreiche Krankheiten sein (Mehr dazu hier).

Deshalb ist Sarah gerade beim Thema ”Ernährung” Transparenz so wichtig: Die Konsument*innen müssen die Möglichkeit haben, sich zwischen frischen Produkten und den industriellen Varianten zu entscheiden. Dafür brauchen wir verständliche Lebensmittelkennzeichnungen vorne auf Verpackungungen anstelle der unleserlichen Zusatzstofflisten auf der Rückseite. Eine solche Kennzeichnung muss zum einen die Inhaltsstoffe, zum anderen auch den Grad der Verarbeitung und evtl auch die Art der Produktion berücksichtigen.

Gerade recht kommt da die “Farm-To-Fork”-Strategie, in deren Aktionsplan die Kommission unter anderem festgeschrieben hat, dass sie bis Ende 2022 einen Vorschlag für eine solche Kennzeichnung bringen wird. Bis dahin hilft nur eines: Das Cordon Bleu umdrehen und die Zusatzstoffe durchsehen. Oder erst gar nicht dazu greifen.

 

Mehr zum Thema: 

Ihr wollt euch die Dokumentation  „Mahlzeit! Hexenküche Lebensmittelindustrie“ ansehen und euch selbst ein Bild machen? Kein Problem, der Film ist noch bis 09.April 2021 in der arte-Mediathek in sechs Sprachen verfügbar. Einfach auf den Link klicken und die Wahrheit über die Cordons Bleus auf euren Tellern erfahren. Da kann man nur noch „Mahlzeit!“ wünschen (oder eben auch nicht)! 

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