Des Königs neue Kleider?

Eine Reserveliste für Antibiotika, die gar keine ist.

Nach langer Wartezeit stellte die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) im Februar endlich ihre Empfehlungen für die Liste der Antibiotika aus, die in Zukunft der Humanmedizin vorbehalten und damit für den Einsatz bei Tieren verboten sein sollen. Kürzlich unverändert von der Kommission übernommen, lässt sie einiges zu wünschen übrig.

Oftmals letzte Chance

Dabei sterben in der EU jährlich etwa 33.000 Menschen, weil es keine verfügbaren Antibiotika mehr gibt, die noch wirksam sind gegen Keime, die schlicht resistent geworden sind. Ein Beispiel für ein Antibiotikum, das zunehmend als letztes mögliches Mittel bei Infektionen mit resistenten Bakterien eingesetzt wird, ist Colistin. Aber Colistin wird in manchen EU-Staaten weiterhin häufig in der Tiermast angewendet. Besonders in der Schweinehaltung findet es Anwendung gegen Durchfall bei Ferkeln. Doch die hohe Anwendung in der Tierhaltung erhöht auch das Risiko, dass sich langfristig Resistenzen gegen Colistin ausbilden und auch dieser Wirkstoff letztendlich wirkungslos wird.

Unzulängliche Liste

Aber die Liste der Kommission, die den Vorschlag für künftige Reserve-Antibiotika enthält, zählt lediglich Wirkstoffe, die in der Tierhaltung gar nicht zugelassen sind. Das heißt, sie würde keinerlei Änderungen für den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung nach sich ziehen und läuft damit völlig ins Leere. Dabei fällt außerdem auf, dass vier Antibiotika, die zwar Kriterium A und B der Europäischen Kommission erfüllen, aber nicht das umstrittene Kriterium C und deshalb nicht gelistet werden, in der Einstufung der WHO klar als highest priority critically important antibiotics eingestuft werden – d.h. als Reserveantibiotika. Insgesamt soll keines der fünf Antibiotika, welche der WHO nach am wichtigsten für die Humanmedizin sind, in der Tierhaltung verboten werden. Damit wird das Tierarzneimittelgesetz zu altem Wein in neuen Schläuchen, denn an der Anwendung von Antibiotika in der Tierhaltung wird sich dadurch nichts ändern.

Es liegt auf der Hand

Die Probleme der Antibiotikaresistenzen könnten wir eigentlich an der Wurzel angehen. Die Resistenzen sind überhaupt nur ein Problem, weil wir Antibiotika massenweise in der Tierhaltung einsetzen. Colistin ist dabei zum Beispiel gar nicht essenziell für die Tiergesundheit – es ist eher eine Symptombehandlung. Zwar wird es, wie schon beschrieben, gegen Durchfall bei Ferkeln eingesetzt. Doch diese Ferkel werden überhaupt erst krank, weil sie in der profitorientierten Nutztierhaltung extrem früh den Müttern entzogen werden. Durch die kürzere Bindungszeit zur Sau baut das ohnehin nicht auf Widerstandsfähigkeit, sondern schnelles Wachstum und großes Fleischvolumen gezüchtete Ferkel ein wesentlich schwächeres Immunsystem auf – die Antibiotikavergabe ist quasi schon vorprogrammiert. Dabei würde eine Züchtung, die mehr Wert auf rundum Gesundheit legt, gepaart mit einer wesensgemäßen Haltung die Notwendigkeit für solche Arzneimittel allemal beseitigen.

Wir können es besser machen

Der hohe und ungezielte Antibiotikaeinsatz ist ein grundlegendes Problem nicht nur in der Tier- sondern auch der Humanmedizin. Alternative Ansätze gibt es bereits, müssen aber weiter erforscht werden und benötigen Förderung, wie zum Beispiel die Phagentherapie, Innovationen mit körpereigenen Stoffen oder natürliche Antibiotika. Mehr über Hintergründe, Alternativen und die allgemeine Positionierung von Sarah zu Antibiotikaresistenzen könnt ihr hier mehr lesen.

Vorerst letztes Wort

Ursprünglich meinte die Kommission, mit ihrer Liste die verfügbaren Antibiotika in der Tierhaltung auf ein bloßes Minimum zu begrenzen. Den ambitionslosen Vorschlag begründet sie nundamit, dass sie noch erweitert werden könne in der Zukunft – doch unter welchen Umständen das geschehen könnte oder in welchem Zeitraum, lässt sie dabei offen. Bei mehreren Austauschen zum Thema im Ausschuss für Umwelt und öffentliche Gesundheit wurde zumindest klar, dass die Abgeordneten aus allen politischen Lagern nicht zufrieden sind mit dieser Liste. Damit bleibt zu hoffen, dass die Kommission zukünftig Anpassungen der Reserveantibiotika-Liste, wie zum Beispiel die Aufnahme von Colistin, vornehmen wird, damit angemessen auf die zu erwartenden Ausbreitungen von Resistenzen reagiert werden kann.

Mein Kommentar zur Liste der Reserve-Antibiotika gegen multiresistente Keime im Ausschuss des EU-Parlaments.

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