Bio auf dem Prüfstand

Fakten und Mythen rund um Öko-Landwirtschaft

Biologische Lebensmittel für Europa: Gut ein Viertel der europäischen Flächen soll bis 2030 biologisch bewirtschaftet werden – zumindest wenn es nach der EU-Kommission geht. Doch die Agrarindustrie stemmt sich dagegen, mit den immergleichen Argumenten. Wir haben sie für euch in diesem Blogbeitrag zusammengetragen und entkräftet.

Es ist ein ehrgeiziges Ziel, dass die EU-Kommission in der Farm-To-Fork-Strategie festgeschrieben hat. 25% Biolandbau soll es in der Europäischen Union bis 2030 geben. Aktuell sind es im Durchschnitt allerdings nur 8,5 Prozent – mit großen regionalen Unterschieden. So ist etwa Österreich mit fast 26% Bio-Landwirtschaft, vorne dabei, während auf der anderen Seite der Öko-Anteil in einer ganzen Reihe von anderen Ländern bei weniger als 3% liegt.

Vor Ostern hat die Kommission deshalb einen Bio-Aktionsplan vorgelegt, der die Entwicklung in Richtung Ökolandbau unterstützen soll. “Das ist sehr positiv”, kommentiert Sarah. “Der Aktionsplan bietet eine ganze Reihe von konkreten Vorschlägen.”

 Jetzt müssen die Mitgliedstaaten diese nur noch in ihre Strategiepläne für die GAP nach 2023 aufzunehmen. Mehr dazu lest ihr hier. Wie groß die Ambitionen hier sein werden, bleibt abzuwarten. Denn die Agroindustrie lobbyiert mit Nachdruck gegen Bio-Landwirtschaft. Bio bringe zu niedrige Erträge, heißt es da, und überhaupt sei das ein Rückschritt. Landwirtschaft wie vor hundert Jahren sozusagen. Aber so einfach ist das alles nicht. Deshalb haben wir euch ein paar populäre Mythen zur Bio-Landwirtschaft gesammelt und den Fakten gegenübergestellt.

Mehr Informationen über Bio-Produkte

Was genau bedeutet “bio” eigentlich und welche Vorteile bringt die ökologische Landwirtschaft für unsere Böden und die Umwelt? Alle Informationen dazu findet ihr hier.

I. Bio kann die Welt nicht ernähren

Es ist das Gegenargument schlechthin: Bio-Landwirtschaft habe einfach deutlich niedrigere Erträge, weshalb zu viel Ackerfläche benötigt würde, um das System umzustellen. Hand in Hand mit dieser Argumentation geht die Heraufbeschwörung von Schreckensbildern der Nahrunsmittelknappheit. Nur konventionelle Landwirtschaft bringe die Ertragssteigerung, die es brauche, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, heißt es dann. Aber ist das wahr?

Es stimmt, dass es in der biologischen Landwirtschaft zu niedrigeren Erträgen kommen kann, doch diese Differenzen sind nicht so groß, wie die Agrarindustrie uns glauben lassen möchte. Laut einer Studie, die an der Berkeley-Universität in den USA durchgeführt wurde, ernten Bio-Bauern und Bäuerinnen im Schnitt nur 19% weniger als ihre konventionellen Kolleg*innen. Je nach Anbauverfahren lässt sich diese Lücke sogar auf 9% verringern. 

Gleichzeitig sind die Erträge nicht die einzige Kennzahl, auf die es ankommt. So werden in der Bio-Landwirtschaft deutlich weniger Pestizide eingesetzt und auch keine chemischen Düngemittel. Ressourcen, die nicht nur endlich, sondern auch schädlichen für Bodengesundheit und Umwelt sind. Außerdem wird ein großer Teil dieser mittels Chemikalien erzielten Erträge verschwendet: Gut ein Drittel der weltweit produzierten Lebensmittel werden einfach weggeworfen. Wir haben also ein klares Verteilungsproblem. Zuletzt darf man nicht vergessen, dass die Tierfutterproduktion für die industrielle Landwirtschaft viel Platz verbraucht. Auf rund 33% aller verfügbaren Flächen werden laut Heinrich-Böll-Stiftung Soja und Mais für Schweine, Hühner und Co angebaut. Wenn sich der Pro-Kopf-Konsum von Fleisch also verringert, hätten wir auch mehr Platz für Bio-Landwirtschaft zur Verfügung.

 

In der Frage, ob ökologischer Landbau die Welt ernähren kann, spielen also viele Faktoren zusammen. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau – kurz: FibL – hat das in einem Video (siehe unten) gut aufbereitet. Die Schlussfolgerung: Eine globale Umstellung auf Bio ist sehr wohl denkbar, ohne mehr Ackerflächen zu verbrauchen. Dafür müssen sich Lebensmittelverschwendung und der Anbau von Futtermitteln allerdings halbieren. Es zeigt sich: Wir brauchen dringend ein differenzierteren Blick auf die Situation. Wer direkt “Bio gefährdet die Ernährungssicherheit” schreit, macht es sich zu einfach.

II. Bio ist zu teuer – niemand kann sich das leisten 

Es stimmt, biologische Lebensmittel sind nicht gerade billig, doch auch mit diesem Argument macht es sich die Industrie zu leicht. Denn in dieser Diskussion wird oft vergessen wird: Eigentlich sind es konventionelle Produkte, deren Preis nicht hoch genug angesetzt ist. Hinter den niedrigen Zahlen auf den Preisschildern im Supermarkt verbergen sich viel höhere “wahre Kosten”, die im Endeffekt wir alle zahlen. Etwa in punkto Umweltverschmutzung. So hat die Uni Augsburg 2019 berechnet, dass konventionelle Milch 122% teurer sein müsste. Statt 1,05 Euro müsste ein Liter also 2,30 Euro kosten – wenn die Auswirkungen auf ökologische und soziale Systeme eingerechnet werden. Für ökologisch produzierte Milch müsste dagegen nur die Hälfte aufgeschlagen werden. So zeigt sich: Bio ist gar nicht teurer, sondern ehrlicher.

Trotzdem muss bei einer Wende hin zu mehr ökologischen Produkten auch bedacht werden, dass nicht jede/r die höheren Preise eines nachhaltigeren Systems stemmen kann. Dafür braucht es unterstützende Mechanismen, etwa durch eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Bio-Gemüse und Obst.

III. Bio ist ein Rückschritt und Gentechnik die Zukunft

Biologische Landwirtschaft, das sei doch von gestern, argumentieren Konzerne. Und sowieso: Mit einer Landwirtschaft wie vor 100 Jahren könnte man die Welt von morgen nicht ernähren. Dafür brauche es Drohnen, Hightech und Gentechnik. Ganz außer Acht gelassen wird dabei, dass im Biolandbau die Zeit nicht stehen geblieben ist. Auch hier wird ständig geforscht. Mehr dazu findet ihr zum Beispiel hier.

Klein aber oho: Als Beispiel für innovativen Bio-Landbau könnte man etwa den Bereich “Mikrofarming” nennen. Dabei geht es um intensive Landwirtschaft auf kleinster Fläche, oftmals kombiniert mit Agroforstwirtschaft oder mobiler Hühnerhaltung. Im sogenannten “Market Gardening” geht es darum, auf möglichst kleiner Fläche viele unterschiedliche Gemüsesorten anzubauen und diese dann auch direkt zu vermarkten. So entstehen vielfältige, resiliente und produktive Mikro-Bauernhöfe, die sich finanziell rentieren. Der Kanadier Jean-Martin Fortier erwirtschaftete etwa mit seiner nur einen dreiviertel Hektar großen Farm – das ist ein bisschen mehr als ein halbes Fußballfeld – knapp 100.000 Euro im Jahr. In diesem Bereich gibt es also viel Potential. Mehr über Innovationen im Bio-Landbau könnt ihr übrigens im Kritischen Agrarbericht nachlesen.

IV. Die Nachfrage für Bio ist zu gering

Wer die Umstellung auf Bio fördere, der produziere an der Nachfrage vorbei, heißt es oft. Man müsse einfach einsehen, dass die Menschen lieber konventionelle Lebensmittel kaufen würden. Das stimmt so allerdings gar nicht: In einer 2017 durchgeführten Umfrage gaben über die Hälfte aller Österreicher*innen an, dass ökologische Lebensmittel für sie eine höhere Lebensqualität versprechen. Gleichzeitig steigt der Konsum dieser Produkte nahezu sprunghaft an: Laut Bio-Austria war er 2020 so hoch wie nie zuvor. Im vergangenen Jahr verzehrten die Österreicher*innen Bio-Lebensmittel im Wert von 713 Millionen Euro, das ist eine Steigerung um 23% gegenüber 2019. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch im Rest Europas beobachten: In Dänemark, das weltweit den höchsten Anteil an Bio-Lebensmitteln auf dem Markt hat, sind bereits 12% der verkauften Produkte ökologisch. Bio-Produkte sind also zunehmend im Trend und das sollte sich auch in den Agrarförderungen der EU widerspiegeln.

IV. Bio ist nicht so umweltschonend wie vegan

Vegane Produkte sind das große Geschäft. Erfindungen wie im Reagenzglas gezüchtetes Fleisch und andere Ersatzprodukte versprechen eine “umweltschonende Labor-Landwirtschaft” für die Zukunft. Gleichzeitig ist ein Umstieg auf überwiegend pflanzenbasierte Diäten und die Einführung des guten, alten “Sonntagsbratens” unabdinglich, um wenn wir unseren Planeten nicht überlasten wollen. Eine interessante Perspektive zu diesem Thema zeigt die Studie der EAT-Lancet-Kommission auf, die einen Speiseplan aufgestellt hat, mit dem die wachsende Weltbevölkerung auch 2050 noch ernährt werden könnte. All das bedeutet aber nicht, dass wir Tierhaltung gänzlich abschaffen können. Weidehaltung schließt das landwirtschaftliche Kreislaufsystem, ist gut fürs Klima – Stichwort: Kohlenstoffspeicherung – und erhält gleichzeitig Graslandschaften. Wiederkäuer schützen also de facto die größte Perma- und Mischkultur auf unserer Erde, indem sie sie abgrasen und so zum Wachsen anregen. Abgesehen davon dient der entstehenden Mist natürlich auch als Dünger. Die Abhängigkeit von Nitrat und Phosphat – übrigens Ressourcen, die uns demnächst ausgehen könnten – wird damit geringer. Eine ganzheitliche und zukunftsfähige Landwirtschaft sollte also nicht völlig auf Tierhaltung verzichten.

 

Zusammenfassend gibt es kaum Gründe, eine Umstellung auf mehr biologische Landwirtschaft nicht zu befürworten oder gar einzubremsen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Mitgliedstaaten dies auch einsehen und ihre Strategiepläne für die zukünftige GAP dem Öko-Landbau keinen Riegel vorschieben.

Euch schwirrt vor lauter Information nicht der Kopf und ihr wollt noch mehr wissen? Kein Problem, Sarahs Kollege MdEP Martin Häusling hat vor einigen Jahren eine Studie zum Thema veröffentlicht, in der ihr noch mehr Zahlen und Fakten findet. 

Ähnliche Artikel

Ähnliche