Antibiotikaresistenzen: Sehenden Auges in die nächste Gesundheitskrise

Neue EU-Liste mit Reserveantibiotika wird nichts verändern. Worauf warten wir noch, fragt Sarah Wiener.

(Brüssel) – Nach langem Tauziehen hat die Europäische Kommission endlich eine Liste mit Reserveantibiotika auf den Tisch gelegt, die den Menschen vorbehalten bleiben sollen. Im Umweltausschuss des Parlaments ist man sich einig: Das reicht nicht.

Sarah Wiener, Grüne EU-Abgeordnete und Vorsitzende der parlamentarischen Interessensgruppe für Antibiotikaresistenzen, kommentiert: „Mit der raschen Zunahme von multiresistenten Bakterien kommt eine stille Seuche ungeahnten Ausmaßes auf uns zu und wird die Grundsätze unserer modernen Medizin aushebeln, wenn wir nicht präventiv und stringent handeln. Schon 2019 gab es weltweit fast 1,3 Millionen Todesfälle aufgrund von Antibiotikaresistenzen – Tendenz steigend – und großer Treiber ist immer noch die industrielle Massentierhaltung. Eine österreichische Analyse hat erst letzte Woche gezeigt, dass jedes dritte Stück Fleisch im Supermarkt mit multiresistenten Keimen belastet ist. Trotzdem enthält die neue EU-Liste mit Reserveantibiotika keinen einzigen Wirkstoff, der zurzeit in der Veterinärmedizin angewandt wird. Allein 2020 wurden in Europa 5.500 Tonnen Antibiotika für den Gebrauch in der Tierhaltung verkauft. Dieser hohe Einsatz ist die Folge von schlechten Haltungsbedingungen und leidvoller Tierzüchtung. Das können wir nicht einfach ignorieren.“

Die Kommission folgt mit der vorgestellten Liste an Reserveantibiotika einem enttäuschenden Vorschlag der EMA, der Europäischen Arzneimittelbehörde. Besonders kontrovers: Der kritische Wirkstoff Colistin, der in einigen EU-Ländern immer noch häufig in der Tierhaltung eingesetzt wird, aber ein wichtiges und oft letztes, rettendes Antibiotikum für die Humanmedizin ist, steht nicht auf der Liste.

Wiener: „Für Patient*innen, die an einer Infektion mit multiresistenten Bakterien leiden, ist Colistin zunehmend die letzte Chance und dennoch wird es in der EU für die Anwendung bei Nutztieren nicht verboten. Obwohl es schon Länder gibt, die ihren Verbrauch deutlich reduziert und gezeigt haben, dass es keine Notwendigkeit für den Einsatz von Colistin gibt. Dänemark, Litauen, Estland und Finnland, um nur einige Beispiele zu nennen. Dass hier nun trotzdem die Bedürfnisse der industriellen Massentierhaltung über die menschliche Gesundheit gestellt werden, ist schwer zu verdauen, da ist sich auch die Mehrheit des Umweltausschuss einig. Quer über alle politischen Fraktionen im Parlament ist die Bedrohung durch Antibiotikaresistenzen erkannt worden. Ich fordere deshalb eine zeitnahe Überarbeitung dieser Liste, damit sie nicht zu einem nutzlosen Instrument wird. Wir haben die Chance, zum globalen Vorreiter zu werden und mit strengen Importregeln einen wichtigen weltweiten Impuls für die Reduktion des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung setzen.“

Absender:
Sarah Wiener

Ort:
Brüssel am 11.5.2022

Schlagworte:
Landwirtschaft / Gesundheit / Bio / Farm To Fork

Kontakt

Rückfragehinweis:

Ludmilla Reisinger
Pressesprecherin Sarah Wiener, MEP
ludmilla.reisinger@la.europarl.europa.eu
+43 660 3213732

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